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Vom Jungen zum Mann

Männliche Rollenbilder haben sich in den letzten 50 Jahren enorm gewandelt: Nach dem Familientyrann kam der Softie, heute ist weitgehend unklar, was Mannsein überhaupt bedeutet. Vorbilder sind widersprüchlich: Einerseits propagieren Computerspiele und Filme Gewalt, übertriebene Coolness und Bindungslosigkeit, andererseits erleben Jungen eine frauendominierte Welt ohne männliche Rollenmodelle, wo sie in Watte gepackt und zum Reflektieren im Stuhlkreis anstatt zum Anpacken und Handeln erzogen werden. Mit diesem Zwiespalt sind viele Jugendliche überfordert.

Geschlechtsgerechte Erziehung heißt nicht, dass Jungs und Mädchen gleichgemacht und Unterschiede eingeebnet (oder geleugnet) werden, sondern dass jedem Geschlecht seine Eigenheiten zugestanden werden und diese entfaltet werden dürfen. Denn Jungs wollen stark sein, sich bewähren, Erfolge und Anerkennung erringen. Kurzum: Sie brauchen Vorbilder für ein gesundes männliches Selbstverständnis. Da sind sie im Handwerk genau richtig!

Wie das Handwerk zu einem männlichen Selbstverständnis beiträgt

Wenn junge Männer von einer stark feminin geprägten schulischen Welt (2,8 % Männeranteil in der Primarerziehung) und von einer feminin ausgelegten häuslichen Welt (nur ca. 5 % Hausmänner) mit Ausbildungsbeginn plötzlich in eine völlig andere Welt eintreten, haben viele zunächst enorme Probleme. Denn sie fühlen sich emotional verlassen, wenn die Mutter weg ist, die alte Schule (wo nur noch ca. 10 % der Lehrer Männer sind) weg ist und es in der Firma hart zugeht. Im immer noch männerdominierten Handwerk erfahren sie klare Regeln, Strafen, Härte, Angriffe, Zurechtweisungen, aber auch Anerkennung, Schulterklopfen und Respekt. Sie lieben das – und fürchten sich gleichermaßen davor! Sie erleben einen männlichen Kulturschock, den sie erst einmal verdauen müssen!

Ausbilder vermitteln viel mehr als reines Fachwissen: Sie prägen auch die persönliche Entwicklung ihrer Zöglinge. Vor allem für heranwachsende Jungs sind sie daher eine Schlüsselfigur – mit Verantwortung für den Lehrling, den Betrieb und die ganze Gesellschaft.

Sieben Dinge, die Jungs brauchen und die Handwerksmeister ihnen geben können

1. Junge Männer suchen stark die Verbundenheit zu anderen Männern. Diese Verbundenheit finden sie vor allem beim gemeinsamen Machen, Bauen, Konstruieren in der Werkstatt, am Computer oder auf der Baustelle. Das Handwerk ist also gewissermaßen der letzte männliche Ort, wo mannhafter Umgang miteinander geübt wird. Jungen suchen vor allem auch die Verbundenheit zu ihrem Vater, der mal etwas mit ihnen alleine macht und ihnen zeigt, dass sie etwas können und was draufhaben.

u Handwerksmeister können mannhafte Nähe und Verbundenheit zu ihren Jungs zeigen: etwas mit ihnen gemeinsam anpacken und sie Neues ausprobieren lassen.

2. Gleichzeitig haben junge Männer furchtbar Angst, (noch) keine guten Männer zu sein. Darum drehen sie auf, spielen den Macker, versuchen cool zu sein, greifen Autoritäten an, um von anderen Schülern, aber auch erwachsenen Männern (und Frauen!) die ersehnte Anerkennung zu bekommen („Wow, ist der mutig!“). Der eigene Vater war ja so schrecklich sparsam damit! Lehrer, Meister und Kollegen werden daher oft zu Ersatzvatertypen.

u Handwerksmeister müssen eindeutig klarstellen, dass es nicht für tolle Handys, tolle Klamotten und provokantes Macho- oder Platzhirsch-Gehabe Anerkennung gibt, sondern (wie in unserem westlichen System eben üblich) für konkrete Leistung.

3. Junge Männer haben noch kein Gefühlsmanagement. Wenn der Vater wenig oder keine Gefühle zeigte, haben sie noch keinen Weg gefunden, ihre Stimmungen sinnvoll mannhaft – das heißt authentisch, aber nicht unbeherrscht oder destruktiv – auszudrücken. Also werden sie laut, jaulen auf, jammern, schreien rum ... Sie brauchen Modelle, die ihnen einen angemessenen Umgang mit Aggressivität, Zuneigung, Ablehnung, Nähe und Distanz vorleben. Männer wollen heute Gefühle zeigen und Frauen fordern das auch ein!

u Handwerksmeister sollten lernen, mehr Gefühl zu zeigen, ohne aufzubrausen und herumzubrüllen, und kopierbare Muster von Emotionen wie Enttäuschung, Wut, Freude, Mitgefühl darzustellen. Das setzt voraus, dass sie zuallererst selber mit ihren Gefühlen ehrlich umgehen, offener sind und sich gleichzeitig in Impulskontrolle üben.

4. Untervaterte Männer haben generell zwei Hauptprobleme: ein vernünftiger Umgang mit Sexualität und Autorität. Junge Männer leben ihre Sexualität noch nicht richtungsbezogen aus. Sie wollen sich die Hörner abstoßen und ihren Trieb befriedigen. Das tun sie nach Kräften im Internet und teilweise auch physisch. Hier ist es sehr wichtig zu zeigen, dass sinnvollerweise Sexualität und Autorität auf eine Person fokussiert sind, auch wenn dies nicht so einfach über Mausklick funktioniert.

u Handwerksmeister müssen für konstante Arbeitsgruppen kämpfen. Männer brauchen für ihre Entwicklung nachweislich Konstanz: eine Firma, einen Chef, eine Frau, einen Hauptlehrer – und keinen ständigen Wechsel!

5. Junge Männer müssen lernen ihrem Chef und ihrer Frau ein ebenbürtiges Gegenüber zu sein! Für die Kommunikation auf Augenhöhe ist leichte Überordnung oder Unterordnung, je nach Situation, unumgänglich. Wer ständig kuscht oder sich unterwürfig verhält, schadet sich selbst und anderen genauso wie jemand, der unterdrückt und ständig dominiert.

u Handwerksmeister müssen lernen, Schüler ebenbürtig werden zu lassen, ohne dass diese den Respekt verlieren - als primus inter pares (aber immer noch primus!). Die Kunst, ein Mann zu sein, zeigt sich genau hier: kameradschaftlich, aber nicht anbiedernd kumpelhaft.

6. Junge Männer wollen eine eigene männliche Spiritualität entwickeln. Männer sind meist religiöser als Frauen. Das drückt sich nicht im Gottesdienstbesuch aus, aber in ihren leuchtenden Augen, wenn sie eine Harley, einen Audi-Sport oder einen erstrebenswerten Job vor sich haben. Männer haben eine unsichtbare Religion, die unsere westliche Wirtschaft antreibt und einen bislang nie gekannten Wohlstand hervorbringt.

u Handwerksmeister können über nebenreligiöse Werte sprechen, die junge Männer insgeheim stark motivieren. Indem man sie als künftige Firmenchefs, kompetente Berater, handlungsstarke Handwerker oder souveräne Planer anspricht, werden männliche Kompetenzgefühle geweckt, die einen gewaltigen Testosteronausstoß bewirken.

7. Jeder hat Probleme mit der Identifikation in dieser geschlechtsverirrten Welt, wo keiner mehr weiß, was nun männlich oder weiblich ist.

u Handwerksmeister können die Frage „Mannsein heute” thematisieren. Ein heutiger Mann kann eben nicht mit MG und Granaten bewaffnet wie in den Kino-Filmen herumlaufen, sondern muss seine Männlichkeit anders unter Beweis stellen!

Die derzeitige gute (!) Imagewerbung des Handwerks zielt genau auf positive männliche Attribute wie Tatkraft, Führungskompetenz und praktisch-technische Begabung ab. Insofern möchte ich uns Handwerkern mal ein Kompliment aussprechen. Aus wie vielen schulverwahrlosten Jungs hat das Handwerk tolle Männer gemacht, die ihren Mann im Beruf und zu Hause in der Familie stehen! Ich denke da leisten wir emotional wesentlich mehr als die Industrie – und wir können darin noch besser werden, oder?

Tipp

Literatur zum Thema

  • Böhnt, Ralf: Das entehrte Geschlecht – ein notwendiges Manifest für den Mann, Panteon 2012
  • Engelbrecht, Martin: Die unsichtbare Religion kirchendistanzierter Männer, Kassel 2005
  • Murrow, David: Warum Männer nicht zum Gottesdienst gehen, Cap-Verlag 2010
  • Pollak: Jungen – was sie brauchen, was sie vermissen – ein neues Bild der seelischen Entwicklung unserer Söhne, Fischer Taschenbuch 2010
  • Rösch, Hans-Peter: Männlich leben – ein Programm für zehn Männerabende

Online-Extra

Teil 1 dieses Beitrags finden Sie in Baumetall 2/2016 auf Seite 60 oder als ergänzendes und frei zugängliches Online-Extra:

www.baumetall.de/extra

Autor

Hans-Peter Rösch

unterrichtet an der Fachschule für Metallbautechnik (staatlich geprüfte Metallbau-Techniker) und an der Meisterschule für Klempnertechnik der Robert-Mayer-Schule, Stuttgart, die Fächer Statik, Stahlbau, Fassadenbau und 3D-Konstruktion.