Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Die Schöne und das Biest

Menschen lieben Geschichten – am meisten solche mit Spannung, Dramaturgie und Happy End. Das war schon immer so. Fast scheint es, als brächten die Ornamenten-Spengler der Lorenz Sporer Spenglerei und Bedachungen GmbH aus München unter dramatischen Randbedingungen besondere Spenglerjuwelen hervor. Und wer weiß: Vielleicht wurde das Sporer-Team um Detlef Rheinwein und David Lengsfeld durch William Shakespeares Romanze „Der Sturm“ besonders inspiriert. Falls ja, müsste Shakespeares Theaterstück jedoch geringfügig umgeschrieben werden: Der alte Gonzalo würde dann zum Bad-Boy der Geschichte und sein Traum von einem paradiesischen Reich befände sich in München – genauer gesagt im Stadtteil Lehel. Zu Recht, denn das Lehel gehört zu den sehenswertesten Stadtteilen Münchens. Der weltbekannte Englische Garten ist dort ebenso zu finden wie das Bayerische Nationalmuseum oder die kultige Surfer-Welle im Eisbach. Und auch architektonisch hat das Lehel einiges zu bieten – etwa die schöne um 1890 errichtete Pfarrkirche St. Anna. Doch zurück zu Gonzalo. Dieser verwandelte sich im Oktober 2014 zu einem regelrechten Unwetter-Biest und hinterließ als Sturmtief Gonzalo eine Schneise der Verwüstung. Selbst das solide Kupferdach der schönen St. Anna wurde dabei nicht verschont.

Szenenwechsel

Natürlich hat das Unwettertief Gonzalo genauso wenig mit Shakespeare zu tun wie die Pfarrkirche St. Anna mit der Schönen und dem Biest. Wahr ist hingegen, dass Gonzalo mit unbändiger Kraft am Kupferdach der Pfarrkirche riss und dabei große Teile der Stehfalzeindeckung beschädigte. Von jetzt auf gleich reckte sich die losgerissene Stehfalzeindeckung wie ein überdimensionales Segel in den Münchner Himmel. Giebelabdeckungen und Dachrandprofile wurden dabei ebenso mitgerissen wie Querfalze und Befestigungsprofile. Zu allem Übel hatten sich Teile des Daches regelrecht um zwei der vier wunderschönen Giebelkreuze gewickelt. Wie am seidenen Faden hängend, drohten diese jeden Augenblick in die Tiefe zu stürzen.

Ersthelfer und himmlische Therapeuten

Die Erstversorgung der schönen Anna erfolgte durch die Industriekletterer von Advanced Climbing Solutions. Lediglich mit Seilen gesichert, entfernten die Kletterer die absturzgefährdeten Teile des Daches in einer Wochenendaktion. Dabei schnitten sie zahlreiche Kupferstücke mit Trennscheiben ab und sicherten anschließend die beiden stark beschädigten Giebelkreuze. Für Passanten war die akute Gefahr somit zwar gebannt, doch die Neueindeckung des Daches durfte nicht lange auf sich warten lassen. Schließlich ging es darum, die Kunstschätze und Deckenmalereien im Inneren des Kirchenbaus vor Feuchtigkeit zu bewahren. Nebenbei erwähnt, gilt die nach Plänen Gabriel von Seidls im neuromanischen Stil erbaute Pfarrkirche St. Anna als eines der besten Beispiele des Historismus in München. Entsprechend schnell wurde ein Gerüst aufgestellt und das Dach der Kirche neu eingedeckt. Den Zuschlag für die anspruchsvollen Spenglerarbeiten erhielten die Fachbetriebe Himmel und Sporer. Zur Ausführung kamen neben der Neueindeckung des rund 300 m² großen Daches auch die Reparatur bzw. Restauration aller vier Giebelkreuze.

Mit vereinten Kräften

Um diese große Aufgabe schnell und fachgerecht zu erledigen, wurde die Kupferdacheindeckung am kompletten Turm von erfahrenen Spenglern beider Fachbetriebe gemeinsam ausgeführt. Der belüftete Dachaufbau erhielt erneut ein Doppelstehfalzdach in Spiegel-Tafeldeckung mit 3 m langen Bahnen. An den Graten wurden dreieckige Lüfterhauben angebracht. Außerdem befestigten die Spengler stabile Sicherheits-Dachhaken aus Vollkupfer für eventuell anfallende Wartungsarbeiten. Jeder einzelne dieser Anschlagpunkte wurde direkt durch Langlöcher in den Scharen und somit kraftschlüssig auf der Unterkonstruktion verankert. Um dabei entstandene Durchdringungen abzudichten bzw. regensicher auszuführen, löteten die Fachleute nach historischer Form geprägte (hutförmige) Überschubprofile aus Kupfer auf. Diese überdecken die Schraubenköpfe der Sicherheits-Dachhaken und sorgen somit dafür, dass die Bedachung auch an den Befestigungspunkten ihre schützende Funktion erfüllt. Während der gesamten Bauphase wurden alle relevanten Details in enger Zusammenarbeit mit der projektleitenden Architektin Rosa C. Wiltschko abgestimmt. Als begleitender Sachverständiger fungierte für die Sanierung Florian Geyer. Die am Bau tätigen Handwerker betreute als „guter Geist“ Dr. Albrecht Eberth-Heldrich von der Kirchenverwaltung. Darüber hinaus dokumentierte Herr Eberth-Heldrich alle Reparatur- und Sanierungsarbeiten.

Vier Kreuze und ein Halleluja

Europaweit genießt die Sporer-Ornamenten-Manufaktur einen ausgezeichneten Ruf. Zu Recht, wie die Rettung der vier Giebelkreuze zeigt. Operiert wurde wie immer in solchen Fällen stationär und zwar im Sporer-Refugium in der Münchner Rothmundstraße. Die nahezu historisch anmutende Fachwerkstatt wird von einer magisch anmutenden Atmosphäre umhüllt. Nur hier können Spengler mit fast vergessenen Werkzeugen bei der Arbeit beobachtet werden. Sie hantieren zum Beispiel mit Mini-Lötkolben, Spezialzangen oder Sicken- und Bördelstöcken, die anderenorts, wenn überhaupt, in Museumsvitrinen zu betrachten sind. Der Einsatz solcher Spezialwerkzeuge ist ein Teil des Sporer-Geheimnisses – ein weiterer ist das von Generation zu Generation weitergegebene Fachwissen.

Vorsichtig untersucht Sporer-Spezialist Detlef Rheinwein seine vier Patienten. Mit feiner Hand beult er deren kugelförmige Grundkörper aus und untersucht währenddessen den Gesamtzustand der Kunstwerke. Dort wo es keine Rettung mehr gibt, entfernt er die betroffenen Teilbereiche und ersetzt die Schadstellen mit originalgetreuen Nachbildungen aus Kupfer. Außerdem verstärkt er marode Lötnähte und ersetzt die zu schwach dimensionierte Kupfer-Unterkonstruktion durch ein ausgeklügeltes Innenleben aus Edelstahl. Um zukünftige Schäden im Bereich der kegelförmigen Stiefel zu vermeiden, werden deren starre Verbindungen zu den Kreuzen getrennt und durch eine großzügige Überlappung in Form eines Schubstücks ersetzt. Um die Belastung durch das darüber liegende Kreuz einschließlich Kugeln zu vermindern, wird die Unterkonstruktion bis zu den Postamenten verlängert. Der Stiefel dient nun als flexible Verbindung zwischen Postamenteinfassung und Kreuz.

Nachdem die Restauration der Giebelkreuze ab-geschlossen war, kümmerte sich Vergoldermeister Tobias Müllner um deren fachgerechte Blattvergoldung. Als nächstes erfolgte die vorsichtige Montage der formschönen Kreuze. Nach Abschluss der Arbeiten wurden diese in einem feierlichen Akt von Pfarrer P. Hans Georg Löffler in luftiger Höhe geweiht.

Happy End

Weithin sichtbar funkeln das neue Kupferdach und seine vier goldenen Kreuze in der Münchner Abendsonne. Das Lehel ist um eine architektonische Attrak-tion reicher und die Spengler sind mit ihrer Arbeit mehr als zufrieden. Dennoch bleibt eine Frage offen: Wie hätte William Shakespeare die dramatische Rettung der schönen Anna beschrieben? Hätte er den Schlusssatz der Geschichte in ihren Mund gelegt? Falls ja, wäre folgende Passage aus Shakespeares Romanze „Der Sturm“ perfekt dazu geeignet, Annas Dankbarkeit auszudrücken: „O Wunder! Was gibt’s für herrliche Geschöpfe hier! Wie schön der Mensch ist! Wackre neue Welt, die solche Bürger (Spengler) trägt!“

Bautafel

Objekt:Sanierung/Restauration der Pfarrkirche St. Anna, München

Industriekletterer: Advanced Climbing Solutions, München

Fachbetriebe:Lorenz Sporer Spenglerei und Metallornamente GmbH, München

Stephan Himmel GmbH, Freising-Tüntenhausen

Material:Kupfer der MKM Mansfelder Kupfer und Messing GmbH 0,7 mm bis 1,00 mm, Deckfläche 200 m², Kehlen 80 m²

Baukosten:Dachsanierung einschl. Sanierung bzw. Rekonstruktion der Turmkreuze rund 270 000,00 Euro

Fotos: Lorenz Sporer Spenglerei und Bedachungen GmbH, München

Info: Die katholische Pfarrei St. Anna im Lehel besteht seit dem Jahr 1808 und wird von den Franziskanern des St.-Anna-Klosters betreut.