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Schulterblick beim Mitbewerber

Gleich drei Experten stehen mit Prüferblick vor einem Vordach: „Bei den Spaltmaßen könnte es noch ein bisschen genauer sein.“ Michel Kirchen, Christopher Schilz und Martin Heinz kommen von der Ferisol in Luxemburg, einem Spezialbetrieb für Metalldächer und -fassaden. Das Heikle an der Sache: Sie stehen nicht vor dem Haus eines Kunden, sondern vor dem Betriebsgebäude ihres Mitbewerbers Andrej Bauer, des Inhabers von Bauer-Bedachungen in Laichingen. Bauer, der danebensteht, grinst. „Das Vordach hat unser Azubi Francesco im ersten Lehrjahr gebaut“, erklärt er nicht ohne Stolz. Die drei Kollegen stutzen und nicken dann anerkennend: „Das ist echt eine Leistung!“

Die Fachsimpelei zwischen den Betrieben Ferisol und Bauer-Bedachungen geht schon los, bevor Kirchen und seine Mitarbeiter richtig angekommen sind. Schon jetzt deutet sich an, dass es ein Tag mit intensivem Austausch und offenen Gesprächen werden wird und damit genau das, was die Betriebsinhaber sich erhofft haben. „Roadtrip“ nennt Kirchen seine Besuchstour zu drei anderen Betrieben, die sich im Gegenzug auch sein Unternehmen ansehen werden. Das Ziel: Von den anderen lernen, sich Anregungen für die Abläufe im eigenen Betrieb holen und gemeinsam über Probleme nachdenken, für die es noch keine gute Lösung gibt.

Mal raus aus dem eigenen Dunstkreis, die Perspektive wechseln

Andrej Bauer beginnt den Rundgang gleich im „Thinktank“ seines Unternehmens: dem Büro. Tanja und Lena Bauer, die für alle administrativen Bereiche und den Vertrieb zuständig sind, Betriebsleiter Simon Bachofer und Barbara Beyer, Gesellschafterin und Betriebsberaterin, erläutern dem Besuch ihr aktuelles Entwicklungsprojekt, die digitale Baustellenakte. Die digitale Akte ist noch nicht perfekt, aber sie vereinfacht jetzt schon vieles bei Bauer-Bedachungen. In einer App wird für jeden Auftrag ein Projekt angelegt und alle Dokumente, Fotos und Auftragsdaten können sowohl von den Mitarbeitern auf der Baustelle als auch im Backoffice eingesehen und vervollständigt werden. Außerdem gibt es eine Chatfunktion, sodass Fragen schnell geklärt werden können, auch wenn der Kollege, der die Antwort weiß, nicht im selben Raum oder auf demselben Dach ist. Für die Kunden entsteht zugleich eine vollständige Dokumentation ihres Auftrags. Die digitale Akte erleichtert nicht nur alle administrativen Abläufe, sie hilft auch, wenn es mal Uneinigkeit über die geleistete Arbeit geben sollte, denn die Mitarbeiter dokumentieren fotografisch Zwischenschritte und Unterkonstruktionen, die die Kunden normalerweise gar nicht sehen. Schnell entwickelt sich zwischen der Ferisol-Delegation und dem Bauer-Team ein angeregtes Gespräch darüber, in welchem Stadium die Akte an die Bauleitung/Vorarbeiter übergeben werden soll (möglichst früh!) und wie die digitale Akte mit Fragen der Zeiterfassung verknüpft ist.

Praktikable Zeiterfassung

„Zeiterfassung ist in vielen Handwerksunternehmen ein Reizthema“, erklärt Barbara Beyer, die nicht nur Bauer-Bedachungen, sondern auch viele andere Dachbetriebe dabei unterstützt, Abläufe zu verbessern und Veränderungsprozesse in Gang zu setzen. Außerdem ist es ohne Zeiterfassung sehr schwierig, den Kunden plausibel zu machen, wie viel Zeit eine bestimmte Arbeit auf ihrem Dach benötigt. Das gibt oft unnötige Diskussionen, und das Büro muss den Mitarbeitern hinterherlaufen, um alle Angaben für die Abrechnung mit den Kunden zu bekommen.

„Bei uns im Betrieb arbeiten die Leute immer noch so lange, wie es halt dauert. Das fühlt sich nach Selbstbestimmung an!“ kommentiert Andrej Bauer. „Das Beste ist, wenn die Mitarbeiter schnell die Vorteile, die eine Zeiterfassung auch für sie hat, erkennen. Das setzt aber voraus, dass sie von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbezogen werden und Mitgestaltungsmöglichkeiten haben. Wenn Betriebsinhaber das einfach so top-down einführen, fühlen sich die Mitarbeiter kontrolliert und gegängelt. Das gibt eigentlich immer unnötig Stress.“ Vertrauen zwischen der Geschäftsführung und den Mitarbeitern, da sind sich alle einig, ist die Voraussetzung dafür, dass Neuerungen wie die digitale Baustellenakte und die Zeiterfassung von allen mitgetragen werden.

Sowohl Bauer als auch Kirchen können mit Stolz sagen, dass es ein entsprechend gutes Arbeitsklima in ihren Betrieben gibt. Allerdings sind sich beide Chefs bewusst, dass es kontinuierlicher Arbeit bedarf, um die vertrauensvolle, offene Atmosphäre zu erhalten; und in beiden Betrieben blickt man auf Zeiten zurück, in denen nicht alles so reibungslos ablief. Die Mannschaft von Bauer-Bedachungen arbeitete in den vergangenen Jahren intensiv daran, aus Chaos Ordnung zu machen, die Arbeitsabläufe zu optimieren und vor allem auch die Kommunikation mit dem Backoffice zu verbessern; bei Ferisol traf Inhaber Kirchen – angeregt durch einen ähnlichen Betriebsaustausch – die Entscheidung, mit Christopher Schilz und Martin Heinz eine zweite Führungsebene aufzubauen, um selbst wieder Raum für strategische Planung und kreative Ideen zu bekommen. Die beiden Nachwuchstalente Schilz und Heinz übernahmen nach und nach einen Teil der Führungsaufgaben.

Notfallplan

Im Nachhinein ein Glücksfall, denn als Kirchen wegen einer schweren Knieentzündung ins Krankenhaus musste und für längere Zeit ausfiel, schmissen die beiden zusammen mit der Mannschaft den Laden. „Ich bin super stolz auf mein Team“, sagt Kirchen. „Stolz auf die Persönlichkeitsentwicklung meiner beiden jungen Führungskräfte und glücklich darüber, dass ich das Risiko gewagt habe, in diese beiden Persönlichkeiten zu investieren.“ Wenn Kirchen nun nach Singapur fliegt, um Vorträge über digitale Bauspenglerei zu halten, weiß er seinen Betrieb in guten Händen. In die Lobeshymnen auf die eigene Mannschaft und den Stolz auf die gemeinsam erbrachten Veränderungsleistungen stimmt Bauer gern ein. In beiden Unternehmen war es Betriebsberaterin Beyer, die die Prozesse moderierte, die Führungskräfte coachte und dazu beitrug, dass die Entwicklung bewusst und kontrolliert ablief. „Der distanzierte Blick von außen ist manchmal wichtig, weil man selbst sich sonst im operativen Tagesgeschäft verstrickt und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht“, erklärt Tanja Bauer.

Betriebsaustausch als Win-win-Konzept

Beim Rundgang durch Halle und Lager mäandert das Gespräch weiter. Wie delegiert ihr Arbeitsaufträge an eure Mannschaft? Wie handhabt ihr C-Artikel? Wie läuft hier der Bestellprozess und was ist an Lagerware vorrätig? Kirchen, Schilz und Heinz schauen aufmerksam darauf, wie die Arbeit bei Bauer-Bedachungen organisiert wird. Sie haben Verbesserungsvorschläge, z. B. was die Einlagerung von Material angeht, und sie nehmen auch selbst Ideen mit, etwa die Arbeit mit Ladelisten. Nach und nach trudeln auch die Projektteams von den Baustellen wieder ein und klinken sich in den Austausch ein. „Kennt ihr eigentlich schon diese Maßband-App?“, wollen die drei von Ferisol wissen und erzählen begeistert davon, dass das Aufmaß damit auch an schwierigen Stellen ganz einfach geht. Als der Besuch nach dem Abendessen zu Ende geht, nehmen beide Seiten viele Anregungen mit nach Hause. Bei Bauer-Bedachungen werden kleine Veränderung in den kommenden Tagen gleich umgesetzt werden; so wird es zum Beispiel eigene Visitenkarten für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben. Auch neue Impulse für langfristigere Veränderungen wurden bei beiden Betrieben gesetzt. Alle sind sich einig: Betriebsaustausch, das ist gut investierte Zeit.
Barbara Beyer / Dr. phil. Bianca Sukrow

Wenn Sie am Netzwerk UBEB teilnehmen möchten, wenden Sie sich an Frau Garofano in der BAUMETALL-Redaktion: garofano@baumetall.de

Unser Betrieb/Euer Betrieb

Das auf dem Klempnertag 2018 vorgestellte BAUMETALL-Format Unser Betrieb/Euer Betrieb hat bei zahlreichen Praktikern großes Interesse geweckt. Aufgrund der starken Auslastung der Fachbetriebe treffen sich die nächsten Trios im Januar 2019 zum Erfahrungsaustausch. Die Unser Betrieb/Euer Betrieb-Pioniere Michael Kirchen, Mirko Siegler und Michael Messerschmidt (siehe BAUMETALL-Ausgabe 1/2018) sind inzwischen einen entscheidenden Schritt weiter, denn viele der bei ihren Treffen gesammelten Anregungen wurden seither umgesetzt. Für Vorreiter Michael Kirchen war das aber noch lange kein Grund, sich auszuruhen. Wissbegierig besuchte er zahlreiche Kollegen, darunter Valentin Schnyder aus Elgg in der Schweiz, die Ornamentenmanufaktur Nakra in Fambach oder den Fachbetrieb von Volker Reinhardt in Bad Rappenau.

Vollgas in der Schweiz

Bereits beim Blick in die Werkstatt des Spengler-Fachbetriebs Schnyder ist klar: Hier geht so manches anders als anderswo. Die Arbeitsvorbereitung ist bis ins kleinste Detail durchdacht und zur Koordination der Arbeitsabläufe kommen zahlreiche digitale Hilfsmittel zum Einsatz. Einen tiefen Einblick in den Vorzeigebetrieb gestattet der BAUMETALL-Fachbeitrag Spenglertradition entstauben, erschienen in Ausgabe 5/2018.

Tradition trifft Moderne

Nicht weniger spannend ist ein Besuch in der Ornamentenmanufaktur Nakra. Dort bereichern Tradition und Know-how die Fertigung. Der Produktkatalog ist entsprechend vielfältig und teils mit sehr komplizierten Produkten bestückt. Bei Nakra sind die Fertigungsprozesse sehr durchdacht und gut organisiert. Viele Vorgänge erfolgen jedoch noch analog und das digitale Zeitalter hat noch nicht durchgängig Einzug gehalten.

Transformation in Richtung Zukunft

Volker Reinhardt vom gleichnamigen Fachbetrieb in Bad Rappenau empfängt seine Gäste mit einer Kurzpräsentation über sein Unternehmen. Der aus einer klassischen Flaschnerei mit angeschlossener Sanitär-und Heizungsabteilung hervorgegangene Fachbetrieb beschäftigt mittlerweile rund 40 Mitarbeiter. Die Firma hat sich auf die Ausführung von Sonderfassaden spezialisiert, ist gut strukturiert und überzeugt mit einer eigenen Planungsabteilung sowie hochprofessioneller Werkstattvorbereitung. Ein erstklassiger Maschinenpark sowie die weitreichende Erfahrung der Mitarbeiter sind wesentliche Faktoren, um die sonst handwerklich hergestellte Klempnerfassade auf ein industrielles Niveau zu heben.

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