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5° im Sommer

Bauvorhaben in der Münchner Innenstadt entwickeln sich für Spengler immer mehr zum Abenteuer. Das kann auch Holger Wunderlich bestätigen. Sein Fachbetrieb hw-Blechgestaltung deckte im Sommer 2016 ein Wohnhaus am Viktualienmarkt neu mit Kupfer ein. Das komplizierte Mansardendach auf dem Eckgebäude mit seinen verschiedenen Neigungswinkeln, Gauben und Schornsteinen gefiel dem Klempnermeister auf Anhieb. Doch fehlende Parkflächen und knappe Unterkünfte in der Stadt erleichterten die Arbeiten nicht unbedingt. Gerade diese Bedingungen motivierten zu Höchstleistungen.

Kupfer aus Europa

„Das Kupfer, bezogen von der Firma Kolbe und Partner, stammt aus Bulgarien. Wir haben 0,7 mm starke Schare in Stehfalztechnik montiert und insgesamt wurden 5,5 t des Materials auf dem Dach verbaut“, blickt der Geschäftsführer zurück. Die Langlebigkeit und der geringe Wartungsaufwand gaben den Ausschlag für die Entscheidung zugunsten des Halbedelmetalls. Bei freier Bewitterung korrodiert Kupfer nicht, sondern bildet eine natürliche Oxidschicht, die es vor dem Wetter schützt. Der Hersteller Sofia Med S.A. in dem südosteuropäischen Land produziert das Material der Marke Doma, das eine Reinheit von 99,9 % aufweist, gemäß der EN 1172. Diese Norm definiert technische Eigenschaften, damit sich der Werkstoff uneingeschränkt für die Bedachung eignet. Holger Wunderlich profilierte den walzblanken Werkstoff mit seinen Mitarbeitern in der Werkstatt der Firma, in der das Wort Blech hoch geschätzt wird und Kreativität zur Philosophie gehört. „Zu 85 % haben wir die Vorfertigung in unserem Betrieb in Mülsen erledigt, der 400 km von München entfernt liegt. Die Restarbeiten und die kleineren Profile haben wir auf der Baustelle gefertigt, wo wir zwar einen Rollformer, aber keine Profiliermaschine aufgestellt hatten“, sagt der Firmengründer. Der Fachbetrieb konzentriert sich außer auf Bedachungen vor allem auf Kunsttreibarbeiten und Sonderanfertigungen. Dazu zählen Gauben, Fassaden, Dachkästen und Türme. Die Mitarbeiter führen auch Vergoldungen aus. Im 6 m langen Anhänger gingen die vorgefertigten Bauteile auf die Reise in die bayerische Landeshauptstadt.

Präzise Falzplanung

Die Spezialisierung auf Sonderanfertigungen passte genau zum Dach des Altbaus mit seinen vielen Eigenheiten. Insgesamt 13 Gauben, neun Lichtkuppeln, sieben Schornsteine und eine Dachterrasse geben der 420 m² großen Dachfläche eine sehr komplexe Struktur. Deshalb musste die Falzführung sorgfältig geplant werden. „Obwohl wir die Konstruktionssoftware Sema verwenden, mussten wir vor Ort per Hand aufmessen. Zur Vorbereitung des Bauvorhabens haben wir mit Schnappschnur und Laser gearbeitet“, erklärt Holger Wunderlich. Über den steilen, um 75 Grad geneigten Mansardwänden an der Traufe befinden sich flach geneigte Bereiche, die sich bis zur Firstentlüftung fortsetzen. Dieser First entspricht dem Grundriss des Eckhauses und enthält einen rechten und einen stumpfen Winkel. „Die maximale Bandbreite der Schare liegt bei 600 mm. In den flach geneigten Bereichen haben wir Dichtbänder in die Falze eingelegt, weil die Dachneigung nur fünf Grad beträgt“, so der Unternehmer. Die Falzführung orientiert sich an den Gauben, die der Fachbetrieb ebenfalls mit Kupfer bekleidete. Die Achsen verlaufen parallel von den Traufen bis zum First. Die Mittelgaube über der Hausecke wurde im 45-Grad-Winkel in den Dachstuhl konstruiert. Damit die Falze auf dieser Gaube ebenfalls von der Traufe bis zum First verlaufen, entschieden sich die Handwerker im Eckbereich für eine diagonale Linienführung. Diese Falze erforderten es, zahlreiche Profile in Sonderformen zu profilieren. Die Königsdisziplin: Zwischen den Schornsteinen und Lichtkuppeln bewiesen die Klempner ihr ganzes Können, indem sie viele schmale Bauteile sowie kleinteilige Schare in Dreieck- und Trapezform anfertigten und verlegten.

Holzschalung mit doppelter Traufe

Auf ein technisches Detail legt der Firmenchef besonderen Wert: „Die Eindeckung liegt auf einer belüfteten Unterkonstruktion mit Firstentlüftung.“ An der Traufe, die Wunderlich als doppelte Traufe bezeichnet, gelangt die Luft hinter bzw. unter die Kupferdeckung. Die Luft kann hinter der Konstruktion zirkulieren und durch Öffnungen am First entweichen. Für die Wärmeisolierung und die Unterkonstruktion fiel die Wahl auf Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen. „Gedämmt wurde mit Holzfaserdämmung. Darüber wurde die Lattung für die Belüftung installiert, auf der dann die 28-mm-Holzschalung montiert wurde“, verdeutlicht der Klempnermeister den Dachaufbau. Zwischen der Schalung und den Kupferscharen wurden eine Unterdeckbahn der Marke Alujet Rooftop Blue und eine Trennlage verlegt, auf der die Profile mittels Edelstahlhaften befestigt wurden. Für den harmonischen Gesamteindruck bekleidete der Fachbetrieb auch alle Schornsteine mit Kupfer. „An jedem Schornstein montierten wir eine Unterkonstruktion aus Edelstahl, die die 0,7 mm starke Bekleidung trägt“, so der Geschäftsführer. Für die Einfassungen der Schornsteine und Lichtkuppeln wurden passgenaue Anschlussprofile gefertigt. Sowohl in den flach geneigten als auch in den steilen Bereichen montierte der Fachbetrieb ein Schneefangsystem aus Kupfer.

Gut organisierte Abläufe

Die hw-Blechgestaltung beschäftigt drei Mitarbeiter. Um das Projekt erfolgreich zu bewältigen, setzte der Firmenchef auf eine gründliche Vorbereitung und Organisation. „Unser Drei-Mann-Betrieb hat die Arbeiten auf dem Dach allein ausgeführt. Wir haben keine Subunternehmer beauftragt“, versichert der Klempnermeister. „Mit zwei bis drei Mitarbeitern haben wir von Montag bis Donnerstag verlegt und montiert. Freitags bereiteten wir die Arbeiten für die kommende Woche vor. Gearbeitet wurde von sieben bis sieben, das heißt von 7 bis 19 Uhr.“ Nachdem ein Großteil der Arbeiten in den drei Sommermonaten 2016 beendet war, kam noch die Einrichtung eines Absturzschutzes hinzu. Die Handwerker montierten elf Lux-Top-Absturzsicherungssysteme von ST Quadrat mit Klemmen auf den Stehfalzen. Die Breite der Klemmen lässt sich variabel an verschiedene Achsmaße anpassen. Die Segmente können auseinandergeschoben und in der gewünschten Breite mittels Schrauben fixiert werden.

Abenteuerliche Verhältnisse

Die Aktivierung ungenutzter Dachböden zu Wohnraum kommt für immer mehr Gebäude in Großstädten infrage. Wohnungen in den Innenstädten sind begehrt, aber knapp. Diese Entwicklung trifft auch auf den Altbau in der Frauenstraße, Ecke Reichenbachstraße zu, dessen Dachetage vor dem Umbau kaum genutzt wurde. „Die alte Eindeckung aus verzinkten gefalzten Stahlblechen wurde vor der Umgestaltung zurückgebaut“, sagt der Unternehmer. Ursprünglich existierte auch keine Terrasse. An der Stelle befanden sich lediglich zwei Gauben mit kleinen Fenstern. „Die neue Dachterrasse haben wir abgedichtet, indem wir eine Dampfsperre mit Gefälledämmung und eine Wolfinbahn verlegten“, ergänzt der Firmenchef. Diese Kunststoffbahnen und Folien von Wolfin Bautechnik eignen sich für die Abdichtung vieler Gebäudebereiche vom Balkon bis hin zum Flachdach. Die Innenstadtlage erschwerte zugleich die Arbeitsbedingungen. Weil das Haus während des Umbaus bewohnt blieb, erfolgte der Zugang zum Dachstockwerk von außen durch eine Gaube. „Vor dieser Gaube hatte der Bauherr ein Gerüst zum Hochsteigen und einen Lastenaufzug aufstellen lassen, der das Material hinauftransportierte. Die Baustelle bot außerdem nur minimierte Parkflächen. Für unseren 6 m langen Anhänger blieb kaum Platz“, gibt der Unternehmer zu bedenken. Die Suche nach Übernachtungen auf Montage wird auch zunehmend schwieriger. „In München sind kaum noch Unterkünfte für Handwerker zu finden. Wir haben in einer Pension am Starnberger See übernachtet und sind täglich 80 km gefahren“, resümiert der Firmenchef. „Trotzdem fahren wir gern nach Bayern und das nächste Projekt steht schon in Anfrage.“

Autor: Henry Rasch

Bautafel

Projekt: Neueindeckung eines umgebauten Dachstockwerks auf einem privaten Wohnhaus in München

Auftraggeber: Strauss GmbH – Sanierungsdienstleistungen, München

Fachbetrieb: hw-Blechgestaltung, Mülsen

Bedachung: Mansardendach, 420 m² Stehfalzdeckung

Material: Kupfer walzblank, 0,7 mm der Marke Doma, Hersteller: Sofia Med S.A., Bulgarien

Lieferant: Arno Kolbe und Partner GmbH, Gera

Fertigstellung: Sommer 2016

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