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Zinkverzierte Märchenburg

Um es vorweg zu nehmen: Dies ist kein Märchen! Dennoch erinnert die Restauration des Château de Jonval an Dornröschen und an Charles Perrault, der die sagenumwobene Geschichte der schlafenden Schönen im Wald erstmals vor rund 300 Jahren erzählte. Mindestens ebenso geheimnisvoll ist das, was erst kürzlich auf den Dächern der im französischen Pierrefonds gelegenen Burg geschah. Wie durch Magie verwandelten sich dort stark verwitterte Firstkämme, Dachla-ternen und Dachspitzen wieder in ihren Urzustand zurück. Montiert wurden die rekonstruierten Zink-ornamente durch den Fachbetrieb Olivier Auperpin aus Compiègne –gezaubert wurde in München.

Hokuspokus im Keller

Seit einer kleinen Ewigkeit befindet sich der Firmensitz der Lorenz Sporer GmbH in der Münchner Rothmundstraße 6. Mindestens ebenso lang dringt in regelmäßigen Abständen ein dumpfes Stampfen aus dem Keller der Spenglerei. Das fremdartige Geräusch entsteht bei der Herstellung unterschiedlichster Metallornamente und zwar immer dann, wenn die Fachleute um Detlef Rheinwein eine Technik anwenden, die dem Rest der Zunft scheinbar vorenthalten ist. Selbst Branchenkenner verstehen erst auf den zweiten Blick, was in der traditionellen Werkstatt geschieht und warum die Sporer-Spezialisten sonderbare Gerätschaften wie das über 110 Jahre alte Fallwerk modernen Maschinen vorziehen. Doch was ist ein Fallwerk und wie funktioniert es? Im weitesten Sinne kann ein Fallwerk mit einer Presse verglichen werden. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass ein Fallwerk mit Muskelkraft bedient wird und zwar so:

Während Detlef Rheinwein das anzufertigende Zierelement in akkuraten Bewegungen der Länge nach über die Matrize führt, ist sein Kollege Helmut Becher für die Feineinstellung des Prägedrucks verantwortlich. Dazu zieht er das an einer gurtähnlichen Vorrichtung befestigte Fallgewicht samt unterseitig angebrachtem Stempel auf eine bestimmte Höhe, um es dann kontrolliert auf das Werkstück fallen zu lassen. Rund 300 kg wiegt das historische Werkzeug – entsprechend schweißtreibend ist der Prägevorgang. Detlef Rheinwein begutachtet das Ergebnis des ersten Durchgangs, kontrolliert die Maßhaltigkeit, prüft die Form und verschwindet mitsamt Werkstück im Nebenraum, um es dort mit einem Aufschweißbrenner anzuwärmen. Die Prozedur beginnt erneut, wobei die Fallhöhe und somit das Gewicht des Prägevorgangs erhöht werden. Auch die Arbeitsgeschwindigkeit wird gesteigert, um das erhitzte Bauteil vor frühzeitiger Auskühlung zu bewahren. Deutlich ist jetzt eine kugelförmige Struktur im Profil erkennbar – ein weiteres Puzzleteil für eines der zahlreichen Ornamente ist fertiggestellt.

Nach altem Muster

Die Restaurationsarbeiten am Château de Jonval begannen ebenso wie die Neuanfertigung zahlreicher Ornamente im Jahr 2008. Seither wurden die Firstkämme rekonstruiert, Dachspitzen erneuert und Dachgauben sowie komplette Dachlaternen mit Titanzink hergestellt. Die mit der Restaurierung beziehungsweise Rekonstruktion der Ornamente beauftragte Lorenz Sporer GmbH wird inzwischen in vierter Generation geführt. Geschäftsführerin Caroline Sporer erklärt, welche Bauteile besonders aufwendig hergestellt wurden und warum traditionelles Fachwissen unbedingt weitergegeben werden sollte.

Auf die Spitze getrieben

Dank geballtem Fachwissen und dem Einsatz originalgetreuer Titanzink-Ornamente erstrahlt das Château de Jonval wieder in neuem Glanz. Vor allem die aufwendigen Verzierungen an den Dachspitzen verdeutlichen, welchen Schönheitssinn die alten Handwerker besaßen. Um genau diese Schönheit wieder herzustellen, wandten die Fachleute der Lorenz Sporer GmbH zahlreiche Kunstkniffe an. Beispielsweise wurden die Konturen einzelner Ornamente in mühsamer Handarbeit nachziseliert. Dabei machten die Ornamentenspengler aus München keine halben Sachen. Selbst kleinste Bauteile wurden originalgetreu rekonstruiert, etwa die kleineren Dachspitzen zur Bekrönung der Firstkämme. Besonders imposant ist die fast 3 m hohe Titanzinkspitze am Abschluss des achteckigen Turmes. Sie steht auf einem geschwungenen Stiefel, der ein unregelmäßiges Achteck mit darüber liegendem, unregelmäßigem Gesimskranz bildet. Auch die Einzelteile der Dachlaterne wurden nach ­historischem Vorbild angefertigt. Dabei erhielt der komplette untere Gesimskranz acht kleine Sockel einschließlich der erforderlichen Innenschubrohre. Der obere Gesimskranz wurde mit acht Kapitellen und einer darüber liegenden Dachspitze ausgestattet. Zur Verbindung zwischen dem oberen und dem unteren Gesimskranz wurden acht runde Titanzinksäulen angebracht.

Zauberhaftes Ergebnis

Auf den ersten Blick scheinen die Spengler der Lorenz Sporer GmbH mit Blech regelrecht zu zaubern. Tatsächlich steckt jedoch hinter jedem noch so kleinen Handgriff jahrelange Routine und genau hier liegt das Problem: Nur wenn es gelingt, historisch wertvolle Spenglerkunst für die Nachwelt zu bewahren und dabei wertvolles Fachwissen an den Nachwuchs weiterzugeben, ist es auch zukünftig möglich, solche märchenhaften Gemäuer wie das Château de Jonval fachgerecht in Stand zu halten. Fakt ist: Mit jedem Gebäude, das durch Spenglertechnik aus dem Dornröschenschlaf geweckt wird, steigt die Chance, auch junge Menschen für die anspruchsvolle Ornamentenspenglerei zu begeistern. Eine Chance, die unbedingt genutzt werden sollte, damit der Onamentenspengler ein Gegenwartsberuf bleibt und nicht eines Tages sozusagen nur noch aus der Welt der Märchen bekannt sein wird …

AUTORen: caroline sporer und andreas buck

Fast wie früher

Seit 1882 fertigt die Lorenz Sporer GmbH Bauornamente an und seit 2010 führt Caroline Sporer das als Metall­ornamenten- und Blitzableiterartikel-Fabrik gegründete Familienunternehmen in vierter Generation. Aus der Historie heraus wurden zahlreiche Informationen über die Herstellung von Ornamenten betriebsintern erhalten und finden noch heute bei Sporer Verwendung. Besonders froh ist Caroline Sporer darüber, dass ihr Vater Albert Sporer die alten Maschinen und Matrizen aus der Gründerzeit wie seinen Augapfel gehütet hat. So manches verzierte Profil, das vor Jahrzehnten bei Sporer hergestellt wurde, ist in den letzten Jahren nach diesen alten Matrizen wieder gefertigt und nachgeliefert worden. Dank noch immer eingesetzter historischer Geräte wie Fallwerk, Zugbank und Abbiegemaschinen mit bis zu 50 mm Biegeradius kann jedes Ornament originalgetreu und nach alter Handwerkskunst ­angefertigt werden. Heute stellt die Ornamentenherstellung die Haupteinnahmequelle des Unternehmens dar.

BAUTAFEL

Projekt: Château de Jonval, Sanierung und Rekonstruktion des Dachschmucks

Ausführender Fachbetrieb: Olivier Auperpin, Compiègne, Frankreich

Ornamente: Lorenz Sporer GmbH, München

Material: Titanzink der Marke Rheinzink, 0,8 und 1,0 mm

Interview

BAUMETALL: Frau Sporer, wie kommen Sie an derart traum­hafte Aufträge?

Caroline Sporer: Gerade in Frankreich wird die Restauration alter Baudenkmäler großgeschrieben. Wir hatten in der Vergangenheit das Glück, zahlreiche Ornamente für so bekannte Gebäude wie das Pariser Kaufhaus Le Printemps oder das Thermengebäude im französischen Evian anzufertigen und zu liefern. Durch unsere qualitativ hochwertige Arbeit werden wir von Projekt zu Projekt weiterempfohlen.

Die am Château de Jonval eingesetzten Titanzink-Ornamente sehen aus wie aus dem Bilderbuch. Aus welchem Material wurden sie gefertigt und wie wurden die Einzelteile des Dachschmucks zusammengefügt?

Wir verarbeiteten ausschließlich 0,8 bis 1,00 mm starkes Titanzinkblech der Marke Rheinzink. Wo immer es erforderlich war, wurden die filigranen Ornamente zusätzlich mit entsprechenden Versteifungen aus Edelstahl versehen. Zur Rekonstruktion der bis zu 4 m langen und 53 cm hohen Firstkämme griffen unsere Ornamentenmacher besonders tief in die Trickkiste. Ab einer Baulänge von 2 m wurden die Zierelemente aus zwei bis drei Teilen zusammengesetzt und mit zusätzlichen Steckern ausgebildet und damit verbunden. Anschließend wurden die Firstkämme mit zahlreichen Vasen, Balustern, Schnecken, Blättern und Flammen verziert. Um die Teile fachgerecht zusammenzufügen, wurde von traditioneller Löttechnik Gebrauch gemacht.

Wie schaffen Sie es, die neu angefertigten ­Ornamente derart originalgetreu herzustellen?

Wie bereits erwähnt, arbeiten wir in überlieferter handwerklicher Tradition. Die einzelnen Bauteile werden von vorhandenen Mustern abgenommen, danach entstehen Modelle aus Gips, dann folgt der Zinkguss mit einem Bleigegenstück, welche dann als Matrize und Stempel für das Fallwerk zur Neuerstellung der Ornamente verwendet werden. Der Zusammenbau erfolgt durch Weichlöten.

Diese ganzen Arbeiten sind natürlich nur möglich, wenn der Betrieb auf einen Mitarbeiterstamm zurückgreifen kann, der mit Herzblut, Fachwissen und Können die Arbeiten ausführt. Ich habe das Glück, in diesem Team eingebunden zu sein, und dadurch sind wir erfolgreich.

Wie viele Mitarbeiter beschäftigt die Lorenz Sporer GmbH und was unternehmen Sie, um geeigneten Nachwuchs zu finden?

Unser Familienbetrieb beschäftigt drei Meister. Meine Firma hat sich schon zu Zeiten meines Vaters Albert Sporer auf die Herstellung von Metallornamenten spezialisiert, in früherer Zeit wurden von uns Spengler ausgebildet, wobei einige zusätzlich in die Ornamentenspenglerei eingewiesen wurden. Durch unsere Spezialisierung ist eine Ausbildung von Lehrlingen nicht möglich, da der Ornamentenspengler kein Ausbildungsberuf ist und wir dem Lehrling die eigentliche Ausbildung zum Dachspengler in unserem Betrieb nicht umfassend bieten können.

Gott sei Dank gibt es auch heute noch junge Handwerker, die sich als Spengler weiterbilden wollen und die sich für unsere Spezialarbeit interessieren. Hierfür ist unser Mitarbeiter David Lengsfeld, der als Spenglermeister zu uns kam und jetzt ein begeisterter Ornamentenspengler ist, ein leuchtendes Beispiel.

INFO

Hintergrundwissen Fallwerk

Bauornamente ohne Fallwerk anzufertigen ist fast so wie Klempnertechnik ohne Blechschere. Und obwohl bei Sporer in München auch moderne Technik eingesetzt wird, schätzen die Dachschmuckspezialisten das gute alte Fallwerk, weil mit ihm, anders als mit hydraulischen Pressen eine schonende Materialbearbeitung, insbesondere beim Material Zink, möglich ist. Fallwerke stammen aus einer Zeit, in der es noch keine motor- oder hydraulisch betriebenen Pressen gab. Ein Fallwerk ist eine Erfindung aus der frühen Zeit der Industrialisierung des Maschinenbaus. Seinerzeit wurden alle Maschinen, von der Ständerbohrmaschine bis zur Balkensäge, über Riemengetriebe angetrieben. Die konstruktiven Wurzeln solcher als Transmissionen bezeichneten Antriebe reichen bis in die Antike zurück und manche bis heute erhaltene Transmissionsanlage gilt als wichtiges Dokument der Industrie­geschichte.

INFO

Das Château de Jonval liegt auf der Gemarkung der französischen Gemeinde Pierrefonds. Die im Département Oise in der Region Picardie gelegene Burg gehört zum Arrondissement Compiègne und zum Kanton Attichy. Unter Kulturkennern ist die Burg besonders wegen der angegliederten Kapelle, einer Kopie aus dem Schloss Chantilly, bekannt. Wer in der Märchenburg übernachten möchte, informiert sich am besten unter Tel.: (0033 3 44) 42 80 97

Autorin

Caroline Sporer

ist Geschäftsführerin der Ornamentenspenglerei Lorenz Sporer GmbH in München.

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