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Ein Blechdach lesen

Wolfgang Huber ist vermutlich der Letzte seines Standes. Speziell im Hinblick auf bauzeitliche Blecheindeckungen kennt vermutlich kaum ein anderer Flaschnermeister derart viele Geheimnisse der handwerklichen Blechbearbeitung. Dabei ist der Begriff „handwerklich“ überaus treffend: Unsere Vorfahren verarbeiteten nicht nur von Hand geschmiedete Tafelbleche, sondern sie kamen nahezu ohne Maschinen und ohne den Einsatz von Bauchemie aus. Erstaunlich viele Dächer bzw. Dach-Teilbereiche solcher vor 1840 hergestellten Flaschnerdächer sind noch immer funktionsfähig. Und damit das noch lange so bleibt, hat es sich Wolfgang Huber zur Aufgabe gemacht, möglichst viele davon zu erhalten. Wie ihm das mit zunehmendem Erfolg gelingt und welche Techniken der erfahrene Flaschnermeister dazu einsetzt, beschreibt BAUMETALL-Chefredakteur Andreas Buck nach seinem Besuch in Hubers traditioneller Flaschnerwerkstatt.

Zeitreise

Streiflicht beleuchtet die Titanzink-Schindelfassade der historischen Falschnerwerkstatt von Wolfgang Huber. Die Schatten der räumlich strukturierten, modern designten Titanzinkschindeln halten mein fachmännisch geschultes Auge zum Narren. Ich mache einen Schritt nach links, schaue genauer hin, ändere die Betrachtungshöhe, möchte verstehen, in welcher Verlegerichtung die kleinteiligen Fassadenelemente aus Bauzink montiert wurden. Nach einer gefühlten Ewigkeit verstehe ich das System: Die Rechteckschindeln unterscheiden sich von herkömmlichen Schindeln in einem gravierenden Punkt. Sie sind weder mit einfachen Umschlägen ausgestattet, noch „nur“ ineinander eingehängt. Das wäre eines Wolfgang Hubers auch nicht würdig. Stattdessen sind die aus vorbewittertem Titanzink hergestellten Schindeln mit einer zusätzlichen Kante ausgestattet, was ihre plastische Wirkung erklärt und dafür sorgt, dass sich die Fassadenstruktur je nach Betrachtungswinkel ständig verändert. Genial!

Huber öffnet die historische Werkstatttür und bittet mich einzutreten. Als ich die Schwelle überschreite, verlasse ich das moderne und dem Zeitgeist entsprechende Architekturumfeld und betrete eine andere Welt. Es riecht nach Salmiak, Lötwasser und Öl. Riesige vergoldete Kirchturmkugeln stehen an weiß getünchten Wänden – schwarze Schalter aus Bakelit warten darauf, gedreht zu werden, um Licht ins Dunkel zu bringen. Fast scheint es, als könne ich den Stromfluss vom historischen Schalter ausgehend, durch in Metallrohren verlaufende Kabel bis hin zu sechs aus gedrehtem Stahlblech bestehenden Lampenschirmen verfolgen. Mit dem Klack des Drehschalters ist der große Werkstatttisch sowie der Rest der Werkstatt erleuchtet. Historische Blechbearbeitungsmaschinen, uralte Werkzeuge und sogar ein gußeiserner Werkstattofen aus Großvaters Zeiten machen das Ambiente perfekt.

Vergangenheit trifft Zukunft

Huber zeigt allerlei Fundstücke, erklärt, wie lose Stehfalzscharen bauzeitlicher Blecheindeckungen dauerhaft wieder befestigt werden können, lüftet das Geheimnis der Rollniete und schlägt vor, den nächsten BAUMETALL-Treff an ebendiesem besonderen Werktisch abzuhalten. Ich willige ein und bitte den Fachmann zeitgleich um weitere Details. Huber zögert keine Sekunde und legt mir einen Dokumentationsordner zur Ertüchtigung der bauzeitlichen Blecheindeckung der ehemaligen Zisterzienserstiftkirche Mariä Himmelfahrt in Aldersbach vor. Bereits der Blick ins Inhaltsverzeichnis macht neugierig. Neben der allgemeinen Projektbeschreibung wird dort auf historische Kupferbleche im Allgemeinen ebenso hingewiesen wie auf Bauschäden, das Konzept zur Restaurierung, dabei ausgeführte Arbeiten samt Dokumentationsplänen und Bilddokumentationen sowie die abschließende Experteneinschätzung in Form einer Schlussbetrachtung.

„Vor jedem Sanierungsauftrag gebe ich auf diese Weise meine Expertise ab“, sagt Huber, dem es auch in diesem Fall darum ging, die historische Eindeckung zu retten. Inzwischen schätzen Denkmalschützer aus ganz Deutschland den Mann vom Fach – empfehlen ihn weiter und feiern seine speziellen Techniken sowie das Know-how aus Kißlegg. „Bevor ich mich an die Arbeit mache, beginne ich das zu rettende Dach zu lesen. Dabei achte ich auf jedes Detail, ordne die Falzverbindungen und die eingesetzten Bleche in Epochen ein und kartografiere schadhafte Bereiche. Erst dann mache ich mir über die entsprechenden Reparaturmethoden Gedanken. Ziel ist es, den Eingriff nach Möglichkeit so vorzunehmen, dass anschließend alles noch oder wieder so aussieht, wie es war.“

Blick in die Dokumentation

Die Barockzeit, in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts, stellt eine Blütezeit der Dacheindeckungen mit Kupfer dar. Auch in Aldersbach entschied man sich dafür, den Turmhelm mit Kupfer einzudecken. Die Blecheindeckung der ehemaligen Zisterzienserabteikirche besteht größtenteils noch aus der bauzeitlichen Kupferdeckung von 1755. Hierbei handelt sich um geschlagene, geschmiedete Bleche. Deshalb stellt das Kupferdach von Aldersbach einen außergewöhnlichen Schatz und ein wichtiges Dokument historischer Blechbearbeitung dar. Schmückendes Beiwerk sind die zum Teil noch erhaltenen ornamentalen Vergoldungen. Ungefähr 80 % der originalen Eindeckung sind noch erhalten.

Mitverantwortlich für die lange Lebensdauer der Kupferdeckung ist das kleine Format der einzelnen Blechkassetten, die durch liegende Doppelfalze miteinander verbunden wurden – eine Falztechnik, die bis in die heutige Zeit hinein den Stand der Technik darstellt. Jeder dieser Falze bietet die Möglichkeit, die wärmebedingte Längenänderung des Kupfers aufzunehmen, vorausgesetzt die Haftbefestigung ist noch vorhanden. Heute sind die meisten Schäden in den Reparaturen der Vergangenheit sowie im Versagen der Befestigungen (Hafte) zu finden. Die Reparaturmaßnahmen der letzten Jahrzehnte nahmen keine Rücksicht auf die vorgegebenen Raster des originalen Falzverlaufs. Kurzerhand wurden Reparaturflicken falzübergreifend aufgenietet und verlötet. In der Folge entstanden starre Blechflächen, in denen sich nun wieder Spannungs- und Flatterrisse bildeten.

Tricks aus Hubers Nähkästchen

Hubers Reparaturkonzept umfasste neben dem Rückbau unsachgemäßer Eingriffe auch die Wiederbefestigung gelockerter Scharen. Hierzu war es notwendig, die doppelt gefalzten, umgelegten Falze hochzukanten und aufzufalten, was jedoch ohne Wärmezufuhr zu einem Bruch der Kantungen führt. Die Bleche wurden rotglühend auf ca. 700 Grad erwärmt, was mit besonderer Sorgfalt hinsichtlich des Brandschutzes zu geschehen hatte, da die Blechdeckung direkt auf der 300-jährigen, staubtrockenen Holzschalung aufliegt. Durch das Erwärmen verändert sich das Materialgefüge des Kupfers so positiv, dass Falzarbeiten wieder möglich werden. Zwischen den Falzaufkantungen der einzelnen Kassetten wurden Schlitze mit einem Feinwerkzeug durch die Schalung hindurch hergestellt. Neue Blechstreifen wurden anschließend durch die so entstandenen Schlitze in den Dachinnenraum durchgefädelt, die Doppelfalze wurden wieder geschlossen und umgelegt. Von der Dachinnenseite wurden die Blechstreifen anschließend umgelegt und befestigt.

Ohne sein Team gelänge Huber all das freilich nicht. In seinem Fachbetrieb in Kißlegg beschäftigt er sechs Mitarbeiter, darunter auch seinen Vater und seinen Bruder sowie einen weiteren Flaschnergesellen und zwei Auszubildende.

Fortsetzung nach BAUMETALL-Treff in Kißlegg

Weitere Details von der Rettung der Kupfereindeckung in Aldersbach veröffentlicht BAUMETALL, nachdem sich Mitglieder und Gäste des BAUMETALL-Treffs selbst ein Bild von der Lage gemacht haben. Exakt 20 „Baumetaller“ treffen sich dazu am 3. Mai 2019 in Hubers Refugium. Erstmals öffnet der seit 2002 bestehende BAUMETALL-Treff die Tore auch für Außenstehende. Maximal fünf neugierige junge Klempnermeister haben die einmalige Chance, dabei zu sein und in Kißlegg Mitglieder des BAUMETALL-Treffs kennenzulernen. Bewerbungen zur Teilnahme können ab sofort per E-Mail an redaktion@baumetall.de eingereicht werden. Die Teilnahmegebühr beträgt 100 Euro. Snacks und Getränke sind inklusive und die gewonnenen Eindrücke mit Sicherheit unbezahlbar.