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Ein Jahrhunderthandwerk

Wenn ein Projekt gewöhnliche Dimensionen sprengt, sind Ausnahmehandwerker gefordert. Nur ein Fachbetrieb kam infrage, um eine Dachlandschaft dieser Größe und mit technisch anspruchsvollen Details wie diesen zu bewältigen. Für Spenglermeister Georg Lummel war es daher eine Herausforderung und Freude zugleich, den neuen Augustinerhof in Nürnberg einzudecken. „Die Dachhaut erstellten wir aus 0,8 mm starkem, eloxiertem Aluminium in traditioneller Stehfalztechnik. Allein die Dachfläche ohne Gauben beträgt 4500 m². Wir verwendeten Material von Kalzip in zwei Bronze-Farbtönen“, so der ­Geschäftsführer des Unternehmens aus Karlstadt am Main. Die Stehfalzdächer passen sich optisch in die rekonstruierte Altstadt ein. Das Deutsche Museum München nutzt künftig den größten Teil des Augustinerhofs als Zweigstelle, in der die Zukunft erforscht werden soll. Bei dem Projekt trifft die Vergangenheit buchstäblich auf eine Zeit, die in weiter Ferne liegt.

Eröffnungsakt: Das Deutsches Museum zeigt Meisterwerke der Naturwissenschaft und Technik. Die Zweigstelle Nürnberg - „Das Zukunftsmuseum“ befindet sich im Augustinerhof 4 in 90403 Nürnberg

Bild: Thomas Langer/Deutsches Museum Nürnberg

Eröffnungsakt: Das Deutsches Museum zeigt Meisterwerke der Naturwissenschaft und Technik. Die Zweigstelle Nürnberg - „Das Zukunftsmuseum“ befindet sich im Augustinerhof 4 in 90403 Nürnberg
Blick in das neue Zukunftsmuseum

Bild: Daniel Karmann/Deutsches Museum Nürnberg

Blick in das neue Zukunftsmuseum
Die betonierte Dachlandschaft des Augustinerhofs Nürnberg im Jahr 2018

Bild: Leonhard Weiss

Die betonierte Dachlandschaft des Augustinerhofs Nürnberg im Jahr 2018

Ein Leichtgewicht

Die Wahl fiel auf den Werkstoff, weil Aluminium seiner Eigenschaft als Leichtmetall alle Ehre macht. Das Material bringt nur rund 2,16 kg Gewicht pro Quadratmeter auf die Waage, sodass auf der Dachfläche etwa 9,7 t Aluminium lasten, wobei die Gauben nicht mitgerechnet sind. Außerdem korrodiert Aluminium an der Luft nur sehr langsam. Durch das Eloxieren (elektrolytisches Oxidieren) entsteht eine Schutzschicht aus Aluminiumoxid auf der Oberfläche, die den Werkstoff zusätzlich vor der Witterung schützt. Gegen Hitze, Frost und Chemikalieneintrag ist die Eindeckung bestens gewappnet. „Aus Sicht des Architekten war zunächst eigentlich keine Stehfalzdeckung, sondern eine Sonderkonstruktion aus Streckmetallelementen über einer wasserführenden Schicht erwünscht. Aus Kostengründen haben sich die Projektbeteiligten in der Planungsphase dann doch auf das traditionelle Stehfalzsystem geeinigt“, erläutert der Unternehmer. Bei den verwendeten Farbtönen handelt es sich um zwei verschiedene Abstufungen eines Bronzefarbtons. Dabei ist Medium-­dark Bronze B 40 mill-finish, so die exakte Bezeichnung, die hellere Variante im Vergleich zu Dark Bronze B 50 mill-finish. Der Begriff „mill-finish“ steht für die gefräste Struktur, die auf dem Material erkennbar ist.

Herkulesaufgabe bewältigt

Das Unternehmen, das derzeit 52 Mitarbeiter beschäftigt, teilte eine recht hohe Zahl seiner Spezialisten für die Fertigung und Montage ein. „Durchschnittlich hatten wir rund zehn Mitarbeiter bei dem Projekt im Einsatz. Montageleiter Ronny Schmidt, der über 30 Jahre Erfahrung in der Firma Lummel verfügt, koordinierte die Arbeiten für das Bauvorhaben. Die Scharen wurden bereits in Karlstadt gekantet und dann nach Nürnberg transportiert, wo sie auf einer einschaligen, nicht hinterlüfteten Dachkonstruktion montiert wurden“, erklärt der Geschäftsführer. Der Aufbau im Detail: Auf den bauseits vorhandenen vollflächigen Betondecken verlegte der Fachbetrieb zunächst eine Dampfsperre und darüber zwei Lagen Dämmstoff der Marke Rockwool Hardrock. Auf der Dämmung wurde eine diffusionsoffene Unterdeckbahn vom Hersteller Würth verlegt. Georg Lummel: „Unser Team befestigte die Stehfalzdeckung mittels Teleskophalter durch die Dämmung indirekt am Stahlbeton.“ Der Startschuss für die Arbeiten an der Eindeckung fiel im Mai 2019 nach dem Richtfest. Mittlerweile setzen die Scharen einen auffälligen Kontrast zur weißen Fassade.

Ein Spengler des Fachbetriebs Lummel beim Anschluss eines Dachflächenfensters

Bild: Lummel GmbH & Co. KG

Ein Spengler des Fachbetriebs Lummel beim Anschluss eines
Dachflächenfensters
Das Arbeiten auf den steilen Dachflächen erforderte höchste Konzentration

Bild: Lummel GmbH & Co. KG

Das Arbeiten auf den steilen Dachflächen erforderte höchste Konzentration
Perfekte Falzführung und beeindruckende Details zeichnen die Spenglerarbeiten aus

Bild: Lummel GmbH & Co. KG

Perfekte Falzführung und beeindruckende Details zeichnen die Spenglerarbeiten aus
Dieses Foto lässt erahnen, wie beengt das Arbeiten auf der Baustelle war

Bild: Lummel GmbH & Co. KG

Dieses Foto lässt erahnen, wie beengt das Arbeiten auf der Baustelle war
Zukunft beginnt immer jetzt – auch an Dach und Fassade des Zukunftsmuseums

Bild: Daniel Karmann/Deutsches Museum Nürnberg

Zukunft beginnt immer jetzt – auch an Dach und Fassade des Zukunftsmuseums

Komplizierte Dachgeometrie

„Eine besondere Herausforderung waren die verschiedenartig steilen Dachflächen und Mansarden. Jede der insgesamt 25 Flächen konfrontierte unsere Monteure mit ihrer individuellen Komplexität“, fügt der Spenglermeister hinzu, der seit 1995 als Geschäftsführer im Familienbetrieb arbeitet. Ein Grund für diese Komplexität bestand darin, dass verschieden hohe Dachfirste sowie mehrere Traufhöhen geplant und ausgeführt wurden. Auf diese Weise passten die Planer den Augustinerhof an die Umgebungsbebauung an. Die Traufen, Bauhöhen sowie die Mansarden ergeben eine Fülle verschiedener Neigungswinkel. Rund um die Gauben beträgt dieser Winkel zum Beispiel 51 Grad. Die steilste Fläche hat eine Dachneigung von 54 Grad. Das Museum mit dem Empfangsgebäude bildet den höchsten Teil des Neubaus, wohingegen die Bereiche, die künftig von einem Hotel genutzt werden, unter dieser Bauhöhe bleiben. Der First über dem Ostflügel des Museums durchläuft eine geneigte Ebene.

Neubau prägt Stadtviertel

Der anspruchsvolle Grundriss des Augustinerhofs, in dem mehrere Flügel in unterschiedlichen Winkeln aneinandergrenzen, trägt zur komplexen Dachstruktur bei. Das Ensemble erstreckt sich von der Karlstraße bis zur Winklerstraße und tangiert das Ufer der Pegnitz. Die Bedachung besteht jedoch nicht nur aus Mansardendächern. Auch andere Konstruktionen wurden in die Dachlandschaft integriert, zum Beispiel Satteldächer auf dem Hotelflügel am Flussufer. Die Dachgeometrie ist weitgehend im Rohbau angelegt. Alle Traufkanten, Mansarden und Gauben sowie ein Großteil der Firste wurden mit Sichtbeton ausgeführt. Der Fachbetrieb betonte diese komplexe Geometrie durch eine sehr klare Falzführung. Die schnurgeraden Achsen der Aluminiumscharen verlaufen vom First über die Mansarden hinab bis zur Traufe. Diese Linienführung wurde auf allen Teilflächen, auch unter dem geneigten First, aufrechterhalten und erforderte eine aufwendige Detailarbeit. Um die parallele Falzführung entlang der Grate und Dachkehlen zu wahren, installierten die Spengler eine formgebende Unterkonstruktion, welche die Dachform zusätzlich definiert und Toleranzen des Betonbaus ausgleicht.

Gestern, heute und morgen

Die Falztechnik mit ihrer jahrhundertelangen Tradition garantiert, dass die Eindeckung wetterfest ist. Bei der nicht sichtbaren Dachentwässerung kam Handwerkstechnik des 21. Jahrhunderts zum Einsatz. Mithilfe gefalzter Traufstreifen aus 0,8 mm starkem Aluminium im helleren Farbton (B 40) wurden kastenförmige Edelstahl-Regenrinnen aus Material der Marke Uginox FTE an der Traufe befestigt. Das Team bekleidete diese Rinnen mit 2,5 mm starkem, pulverbeschichtetem Aluminium. Damit verdeckt die Bekleidung die Entwässerungsbauteile und passt farblich zur Eindeckung.

Von diesen Rinnen aus fließt das Wasser in Fallrohre, die es hinter der Fassade zum Boden leiten. Ausgereifte Klempnertechnik verarbeitete der Fachbetrieb an den insgesamt 86 Gauben, die im Betonrohbau des Augustinerhofs vorkonstruiert waren. „Wir bekleideten die Gauben mit 3 mm starken Aluminiumpaneelen. Die Bedachung der Gauben erfolgte in Stehfalztechnik auf Trapezprofilen aus 1 mm starkem, verzinktem Stahl“ beschreibt der Unternehmer die Ausführung. Der Fachbetrieb befestigte die Gaubenwangen mit einer Unterkonstruktion aus Winkeln, Konsolen und Schraubenankern an den Betonwänden. Sowohl die Wangen als auch die Bedachung wurden mit Rockwool Fixock (Wangen) bzw. Rockwool Klemmrock (Gaubendächer) gedämmt.

Unterschiedlich geneigte Dachflächen und eine komplexe Dachgeometrie bestimmen das Erscheinungsbild der Dachlandschaft

Bild: Lummel GmbH & Co. KG

Unterschiedlich geneigte Dachflächen und eine komplexe Dachgeometrie bestimmen das Erscheinungsbild der Dachlandschaft
Ausstellungsstück: Die sowjetische Raumkapsel Foton 1 war 1985 im All und veranschaulicht die Kräfte, die beim Wiedereintritt in die Atmosphäre auf Objekte wirken

Bild: Ludwig Olah/Deutsches Museum

Ausstellungsstück: Die sowjetische Raumkapsel Foton 1 war 1985 im All und veranschaulicht die Kräfte, die beim Wiedereintritt in die Atmosphäre auf Objekte wirken

Maßarbeit bis ins Detail

„Von allen Gauben sind nur 20 komplett identisch. Die restlichen mussten individuell abgemessen werden“, beziffert der Spenglermeister den Arbeitsaufwand. Die meisten Gauben sind ungefähr 2,58 m hoch, während die Baubreite gut 2 m beträgt. Vor allem im Bereich der Mansarden variieren die Abmessungen der Gauben. Hinter den knapp 269 mm breiten und 291 mm hohen Blenden an der Gaubenfront montierten die Spengler eine innen liegende Edelstrahlrinne der Marke Uginox FTE und ein Fallrohr aus verzinktem Stahl. Die Niederschläge vom Gaubendach werden in der Rinne gesammelt und durch das Fallrohr auf die Dachfläche unterhalb der Gaube geleitet. Sowohl die Wangen als auch die Blenden der Gauben wurden pulverbeschichtet. Dabei kam das hochwetterfeste Beschichtungssystem Tiger Drylac HWF C33 zur Anwendung. Den Anschluss zur Stehfalzdeckung unter der Gaube markiert ein Brustblech aus 3 mm starkem Aluminium mit Insekten- und Kleintierschutz aus perforiertem Aluminium (Stärke: 1 mm). Oberhalb der Gaube montierte das Team gerundete Kehlpofile, die das Wasser seitlich auf die Eindeckung leiten. Zudem wurden 14 Dachfenster in mehreren Formaten in die Eindeckung integriert.

Stadt der Spengler

Der Augustinerhof schlägt einen Bogen von der Vergangenheit über die Gegenwart bis zur Zukunft. Die Sichtbetonwände gehen fließend in den Dachbereich über, sodass eine plastische Einheit entsteht, die dem Museum einen utopischen Charakter verleiht. Im Inneren können die Besucher die gewölbeartige Bauweise nachvollziehen.

Das Projekt prägt die jüngere Stadtgeschichte, weil lange nach einem Nutzungskonzept für das Gelände gesucht wurde. Zwischen 1980 und 2007 stand ein Teil der Bestandsgebäude leer. Bis 1872 befand sich dort ein Kloster des Augustiner-Eremiten-Ordens, das dem Neubau zum Namen verhalf. Das Areal liegt unweit des Hauptmarktes im historischen Stadtkern, in dem Klempner bzw. Spengler schon um 1363 blankes und verzinntes Eisen verarbeiteten. Mit dem Projekt bleibt Nürnberg, die Hochburg der Spengler, dem Traditionshandwerk verbunden, das alle Zeiten krisenfest überdauert.

Bautafel

Projekt: Dacheindeckung in Stehfalztechnik für den Augustinerhof Nürnberg

Bauherr: Alpha Immobilien Management GmbH

Architektur: Staab Architekten, Berlin

Sichtbeton: Leonard Weiss GmbH & Co. KG, Göppingen

Fachbetrieb: Lummel GmbH & Co. KG, Karlstadt/Main

Material: Dach: eloxiertes Aluminium, 0,8 mm,
Farbtöne: Mediumdark Bronze B 40 mill-finish und Dark Bronze B 50 mill-finish von Kalzip Gauben: Aluminiumpaneele, 3 mm, pulverbeschichtet

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