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Turmhochzeit

Die hessische Landeshauptstadt ist unter anderem für ihr in neoklassizistischem Stil erbautes Kurhaus bekannt. Im Inneren des Gebäudes befinden sich Festsäle und die Spielbank Wiesbaden. Aber auch der 1852 im Stil eines englischen Landschaftsgartens angelegte Kurpark, die Marktkirche am Schlossplatz oder das Stadtschloss als Sitz des hessischen Landtags zählen zu den beeindruckenden Plätzen und Gebäuden der Stadt. Seit Kurzem kann in Wiesbaden ein weiteres Architekturjuwel bestaunt werden: die rekonstruierte Dachbekrönung auf dem mit schwarzem Schiefer gedeckten Dach eines Geschäftshauses am eleganten Prachtboulevard der Kurstadt – der Wilhelmstraße. Spätestens nach dem gelungenen Vortrag Michael Messerschmidts im Rahmen der Bundesfachgruppentagung Klempnertechnik im November 2021 ist sich die Fachwelt einig: Sie ist eine Dachbekrönung wie aus dem Bilderbuch oder besser gesagt wie aus einem Lehrbuch zur Herstellung von Metallornamenten. Sie, das ist eine mehrteilige aus Titanzink der Marke elZinc hergestellte Laterne mit Bögen, Verzierungen und zwiebelförmigem Dach. Selbstverständlich war den anwesenden Fachleuten der ZVSHK-Veranstaltung sofort klar: Vom ersten Entwurf bis zur feierlichen Turmsetzung ist es ein weiter Weg. Verglichen damit scheint die Distanz vom Sitz des Hauptquartiers der Nakra-Ornamenten-Klempner nach Wiesbaden ein Katzensprung zu sein – aber der Reihe nach …

Historische Postkarten und ältere Farbaufnahmen vom Projekt

Bilder: Nakra

Historische Postkarten und ältere Farbaufnahmen vom Projekt
Konstruktionszeichnung

Bild:Nakra

Konstruktionszeichnung

Erste Skizzen

Seit Jahrzehnten prägte das Dach eines Eckhauses an der Wilhelmstraße das Stadtbild mit seiner imposanten und schiefergedeckten Dachkuppel. An den darüberliegenden, mehreckigen und flachen „Deckel“, der den Abschluss der Kuppel bildete, hatte man sich in Wiesbaden längst gewöhnt. Scheinbar in Vergessenheit geraten war folglich auch, dass sich auf dem beeindruckende Bau vor rund 140 Jahren eine formschöne und für die damalige Epoche nicht unübliche Laterne aus Zink befand.

Im Zuge umfangreicher Sanierungsarbeiten sollte der Urzustand des Gebäudes wiederhergestellt werden. Die Ornamenten-Manufaktur ­Nakra erhielt der Auftrag, die Laterne möglichst originalgetreu zu rekonstruieren. Die Herausforderungen dabei lagen zum Beispiel in der vorläufigen Bestimmung der Größenverhältnisse unter Berücksichtigung der Gesamtansicht. Die Formgebung zur Erstellung der Bauvoranfrage sowie der denkmalrechtlichen Voranfrage waren weitere Hindernisse auf dem Weg zum Ziel. Nakra-Geschäftsführer Michael Messerschmidt erinnert sich: „Es gab weder Baupläne noch alte Fotos, die wir zur Herstellung erster Entwürfe hätten heranziehen können. Folglich habe ich wochenlang recherchiert und bin schließlich auf zwei historische Ansichtskarten gestoßen. Sie zeigen das Gebäude mit aufgesetzter Laterne. Es folgte ein ausgiebiges Studium alter Ornamentenkataloge. Darin haben wir dann Formen und Strukturen gefunden, die zur damaligen Bauzeit und dem architektonischen Umfeld des Gebäudes passten. Im Anschluss entwarfen wir erste Skizzen, die wir regelmäßig mit dem Architekten und dem Bauherren abstimmten.

Die Stahlunterkonstruktion in der Werkhalle bei Nakra

Bild: Nakra

Die Stahlunterkonstruktion in der Werkhalle bei Nakra
Blick in die Holzkonstruktion des Zwiebeldaches

Bild: Nakra

Blick in die Holzkonstruktion des Zwiebeldaches
Stahlunterkonstruktion der Laterne mit aufgesetzter Holzzwiebel

Bild: Nakra

Stahlunterkonstruktion der Laterne mit aufgesetzter Holzzwiebel

Zeitmaschine

Mittels modernen 3D-Drohnen-Aufmaßes wurden 2019 die genauen Maße am Sockel der mächtigen Schieferkuppel erfasst. Dabei lag die Genauigkeit im Millimeterbereich. Anhand der Luftaufnahmen war bereits erkennbar, dass weder die Winkel noch die Längenmaße des späteren Auflagepunktes gleichmäßig bzw. genau genug waren, was die exakte Weiterführung der Planung erschwerte. Im Anschluss wurden die digitalen Drohnenaufnahmen überzeichnet und diese Daten als Planungsgrundlage für den neuen Turm herangezogen. In enger Zusammenarbeit mit dem Architekten erfolgten dann die Planung zahlreicher neuer Befestigungspunkte und der „offizielle“ Erstentwurf des Daches mit Laterne und allen Gauben in Form einer CAD-Skizze.

Die mögliche Ausführung wurde anschließend in vier unterschiedlichen Varianten gezeichnet. Dabei wurden vorwiegend (wegen des zeitlich begrenzten Ausführungszeitraums) verfügbare Formen aus dem Nakra-Fundus berücksichtigt.

Startschuss in Fambach

Nach erteilter Genehmigung wurde die Detailplanung mit Hochdruck vorangetrieben. Die Unterkonstruktion sollte aus stabilen und dennoch relativ leichten Stahlprofilrohren (Kastenrohrrahmen 100 x 100 mm) hergestellt werden. Der Grund: Das errechnete Turmgewicht sollte aus statischen Gründen das Gesamtgewicht von 2000 kg nicht überschreiten. Entsprechend wichtig war somit auch die exakte Planung der Befestigungspunkte samt dazugehörender Statik. Die geschweißte Stahlkonstruktion wurde anschließend feuerverzinkt – die darüberliegende Zwiebel als selbsttragende Konstruktion aus Holz und mit innerer Führung hergestellt. Als Nächstes wurden in der Werkhalle der Ornamentenspezialisten das verzinkte Stahlgestell sowie der darunterliegende Aufsatzkranz mit Holz bekleidet. Dann erfolgte die Bekleidung des vorbereiteten turmförmigen Dachaufsatzes mit Titanzink.

Ausgangsmaterial zur Metallbekleidung der Laterne waren mit einer speziellen vorbewitterten, dunklen Oberfläche versehende Titanzinkbleche der Marke elZinc. Die ornamentierten Titanzink-Elemente wurden in Drücktechnik bei Nakra hergestellt. In den geräumigen Werkhallen erfolgte auch die Bekleidung der einzelnen Baugruppen. So wurde zum Beispiel der Aufsatzkranz mit oben genannten Ornamentprofilen und klassischen Stehfalzscharen bekleidet. Die Falzführung der Scharen wurde so angeordnet, dass sie sich sowohl auf den Mittelpunkt der Abdeckung als auch auf die Fußpunkte der platzierten Säulen bezieht. Dabei erfolgten die Querfalzausführung und alle entsprechenden Falzanschlüsse in klassischer Klempnertechnik.

Montage vor Ort

In Wiesbaden wurde zunächst die alte Abdeckung über der Schieferkuppel entfernt. Dabei kamen einige Überraschungen, etwa in Form angegriffener Holzbalken, zutage. Besonders in Mitleidenschaft gezogen war der runde Holzstiel in der Mitte der Kuppel. Dieser hatte früher offensichtlich die alte Laterne getragen. Statisch kommt dem in die Jahre gekommenen und damals gestutzten Bauteil keine Aufgabe mehr zu. Die Nakra-Spezialisten haben stattdessen den neuen Aufbau so konstruiert, dass alle Lasten über die Stahlkonstruktion abgetragen werden. Die solide Grundlage bildet dabei der achteckige Grundkranz aus verzinkten Stahlprofilen. Dieser wurde folglich zuerst montiert. Dabei war es überaus wichtig, eine perfekt ausgerichtete waagerechte Position zu erreichen: „Schon wenige Millimeter Abweichung hätten zur Folge, dass der Turm sich neigen und von Weitem als schiefer Turm von Wiesbaden wahrgenommen würde“, erklärt Michael Messerschmidt. Entsprechend anspruchsvoll prüfte er mit seinem Team die Einbauposition vor der endgültigen Befestigung. Dann wurde der Grundkranz samt aller Anschlüsse fachgerecht montiert und zur Endmontage der Laterne vorbereitet.

Transport nach Wiesbaden

Um die aufwendig gefertigte Dachlaterne wohlbehalten vom thüringischen Fambach ins rund 225 km entfernte Wiesbaden transportieren zu können, entwarfen die Nakra-Konstrukteure eine spezielle Transportkonsole. Der Transport der rund 7 m hohen Laterne erfolgte liegend und auf der Ladefläche eines Tiefladers.

Der Aufsatz-Grundkranz mit bereits teilweise montierten Ornament-Zierblechen

Bild: Nakra

Der Aufsatz-Grundkranz mit bereits teilweise montierten Ornament-Zierblechen
Bekleidung der Abdeckung am ­Laternensockel

Bild: Nakra

Bekleidung der Abdeckung am ­Laternensockel
Laternensockel mit fertig aus­geführter Titanzinkeindeckung

Bild: Nakra

Laternensockel mit fertig aus­geführter Titanzinkeindeckung

Nikolausgeschenk für Wiesbaden

Am 5. Dezember 2020 und somit rechtzeitig zum Nikolaustag erfolgte die Turmhebung in Wiesbaden. Noch 20 Stunden zuvor hatten die Klempner von Nakra in Fambach zuletzt Hand angelegt – etwa bei der Montage des geschwungenen, schmiedeeisernen Geländers der Laterne. Beim Eintreffen der Metallschönheit war die Kugel der Dachspitze noch nicht montiert. Stattdessen befand sich dort eine stabile Öse zum Krantransport. Auf www.baumetall.de ist dieser Moment als Kurzvideo abrufbar:

Majestätisch erhebt sich die graue Titanzinklaterne in den dunkelgrauen Dezemberhimmel. Die Landung auf dem zuvor montierten Aufsatzkranz erfolgt punktgenau. Exakt und wie Stempel und Matrize greifen die achteckigen Grundformen der Bauelemente ineinander. „Dieser Augenblick gehört zu den schönsten im Leben eines Ornamentenklempners“, sagt Michael Messerschmidt: „Wochenlange Arbeit und damit verbundene Anspannung fallen dann urplötzlich ab und machen Platz für echte Klempner-Glücksgefühle. Und das Entfernen des Kranseils sowie das anschließende Aufsetzen der Dachspitze ist für viele von uns mindestens ebenso schön wie der Moment auf einer Hochzeitsfeier, wenn das Brautpaar sich die Ringe anlegt.“

Das Dach in Wiesbaden ist im übertragenen Sinne auch eine neue Beziehung eingegangen. Die Schieferkuppel hat mit der Nakra-Laterne nun endlich wieder eine „passende Hälfte“ gefunden. Die Ornamentenklempner von Nakra tragen durch ihr Know-how dazu bei, dass an der Wilhelmstraße ein weiteres Architektur-Highlight zu sehen ist. Und auch wenn viele Passanten die Veränderung der Wiesbadener Dachlandschaft nur unterbewusst wahrnehmen werden, für Michael Messerschmidt und sein Team ist die gelungene Hochzeit ein herausragender Moment in der Firmengeschichte des Unternehmens.

Nakra erleben: faszinierende Reise in die dritte Dimension  

Die uralte Technik des Metalldrückens ist faszinierend. Sie droht aber auch in Vergessenheit zu geraten. Damit dies nicht geschieht, entführt BAUMETALL interessierte Leser ins Traumland des Metalldrückens. Bei Nakra in Thüringen ist im kommenden Jahr ein Workshop geplant, der es ermöglicht, in die faszinierende Welt des Metalldrückens einzutauchen. Im Rahmen des Workshops wird gezeigt, wie Kirchturmkugeln aus Kupfer oder Titanzink mithilfe einer Metalldrückbank und mit entsprechendem Know-how entstehen. Kursleiter Michael Messerschmidt kennt sich mit beidem bestens aus. Der Bauornamentenspezialist und Klempnermeister zeigt dann zum Beispiel, wie ein kreisförmiger Blechzuschnitt vor das Drückfutter seiner Drückbank gespannt und mit Drückstab oder -rolle eine Halbkugel hergestellt wird. Nach kurzer theoretischer Einführung dürfen die Teilnehmer selbst Hand anlegen. Ganz praktisch erlernen sie dabei die faszinierende Technik des Metalldrückens kennen und erlangen dabei wertvolles Fachwissen. Michael Messerschmidts Workshop-­Versprechen lautet: „Jeder Teilnehmer erreicht das Workshop-Ziel und fertigt zwei Halbkugeln an, die er dann zu einer Metallkugel zusammenfügt.“ Informationen zu Terminen und Anmeldung erfahren Sie zeitnah und über die üblichen BAUMETALL-Kanäle sowie per Newsletter, den Sie auf www.baumetall.de/newsletter kostenfrei bestellen können.

Online-Extra zu Weihnachten

Als Weihnachtsgeschenk bietet BAUMETALL ergänzend zu diesem Beitrag ein umfassendes Online-Extra an. Darin sind Videosequenzen und zahlreiche Fotos, aber auch Informationen aus zurücklegenden BAUMETALL-Workshops zum Thema Metalldrücken zu finden. Das Online-Extra ist eine Kombination aus frei zugänglichen Informationen und exklusiven Inhalten für BAUMETALL-Abonnenten. Und noch ein Tipp in eigener Sache: BAUMETALL bietet aktuell interessante Prämien für neue Leserinnen und Leser an.

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