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Hat da jemand zu tief ins Glas geschaut? 

Ein verrückter Vogel

Schwer hängen die Augenlider, müde geht der Blick gen Boden. Zum Glück hat der dunkel gefiederte Rabe noch einen Kupferstamm zum Anlehnen gefunden, auf dem auch sein goldener Trinkpokal Platz hat. Er scheint einiges erlebt zu haben in der vergangenen Nacht. Ob er aus dem an die Schmuck- und Korpusgürtlerei von Manfred Schulze angrenzenden Erlebnislokal „Die Destille“ herausgekommen oder auf dem Weg hinein ist, wird nicht ganz klar. Sicher ist nur eins: Mit dem verrückten Vogel haben Manfred und Steffen Schulze mal wieder ein wahres Unikat geschaffen. Mit dem ausgefallenen Tier haben sie in der Ronneburger Ausflugswelt auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal.

Gebaut wurde der besondere Begleiter während einer eher düsteren Phase für die Gastronomie – während der zurückliegenden Coronajahre. Auch Manfred Schulzes Erlebnis-Destille mit Weinkeller und Zigarren-Bar, in der sonst häufig muntere Veranstaltungen stattfanden, war von den Schließungen betroffen. Wer Vater und Sohn schon begegnet ist, weiß, dass Schulzes von Haus aus mit einem munteren Gemüt gesegnet sind und immer ein leichtes Zwinkern in den Augenwinkeln haben. Während einer Zeit, in der in anderen deutschen Haushalten exzessiv gekocht, Lego gebaut und gepuzzelt wurde, ging man bei Familie Schulze in die Werkstatt und arbeitete gemeinsam an dem neuen Türwächter. So ist die Entstehung des taumeligen Rabenvogels vielleicht am besten zu erklären. Der edle Vogel besteht dabei, genauso wie der Baum, auf dem er steht, aus Kupfer. In liebevoller Detailarbeit bekam er ein elegantes Gefieder gefertigt. Seine dunkle Farbe verdankt er dem Einsatz von Schwefelleber. Wer ihn einmal in echt sieht, kann aber gut den leichten Kupferschimmer im Gefieder entdecken. Sein Haupt ist mit einer vergoldeten Krone bedeckt und in seinen goldenen Becher sind Halbedelsteine eingelassen. Auch sein Standsockel sollte möglichst realistisch werden. Deswegen wurde für seine Rinde ein echter Baum als Negativform verwendet.

Nun sind die Coronajahre vorbei und auch das Erlebnislokal ist wieder geöffnet. Wer den Raben einmal in echt sehen möchte, kann sich also zu einem lustigen Abend mit Werkstattführung anmelden. Dabei ist eine gewisse Vorlaufzeit wichtig, denn: Der Veranstaltungsort ist gerade an den Wochenenden der nächsten Herbst- und Wintersaison schon gut gebucht, wie Manfred Schulze mit einem Zwinkern verrät.

Vielfältige Projekte

Dabei gibt es in der Gürtlerwerkstatt noch mehr zu entdecken und unheimlich viele Geschichten zu erfahren. Im größten Raum der Werkstatt finden sich viele interessante Gegenstände. Neben alten Lötlampen, die von der Decke hängen, sitzen noch ein paar lustige Freunde vom Raben auf einer Rinne. Die aktuellen Werkstücke sind auf die Arbeitsplätze verteilt. So stehen gleich am Eingang zwei große Balustervasen auf dem Werkstatttisch. Die Originale sind etwas in die Jahre gekommen und müssen nun erneuert werden. Als Paar zierten sie lange eine Villa. Nun werden die Vasen originalgetreu rekonstruiert. Der üppige Obstkorb besteht aus acht Teilen und wird aus 1,2 mm starkem Zink in eine Negativform aus Eisen getrieben, dabei mussten die Nähte wieder an der gleichen Stelle wie beim Original sitzen. „Pro Vase liegt der Fertigungsaufwand bei drei Wochen“, weiß Steffen Schulze zu berichten.

Die Stadt und das Gebiet um Ronneburg waren zu Zeiten der DDR stark vom Bergbau geprägt. Dort baute die Wismut AG von 1946 bis 1990 Uran für die sowjetische Atomindustrie ab. Nach der Wiedervereinigung begann man mit der Sanierung und Rekultivierung der Bergbaustätten. Im Zuge der Expo 2000 wurde die neue Landschaft Ronneburg angelegt und im Jahr 2007 als Attraktion der Bundesgartenschau (Buga) genutzt. Für diese Feierlichkeit fertigte die Schmuck- und Korpusgürtlerei Schulze unter anderem eine ewige Flamme, welche ähnlich wie bei den Olympischen Spielen während der Veranstaltung brennen sollte. Leider wurde die Flamme in der Nacht nach der feierlichen Eröffnung gestohlen und kam erst viele Jahre später über Umwege wieder zurück ins Rathaus von Ronneburg. Bei Schulzes ist man schon froh darüber, dass sie nicht aufgrund von Geldgier in Einzelteilen im Altmetall gelandet ist. Zum 15-jährigen Jubiläum der Buga kam die Stadt Ronneburg erneut auf den heimischen Kunsthandwerker zu und gab eine Gedenkplakette aus Kupfer in Auftrag. Mit feinem Punzenschlag verewigte Steffen Schulze darin ein Zitat für die Buga-Eiche. Das Werk steht unweit der Werkstatt und kann problemlos besichtigt werden.

Ein echter Traditionsbetrieb

Der Name Schulze ist schon lange mit Metall und dem Handwerk verbunden. Seit 1950 sind sie als Klempner- und Installationsbetrieb in Ronneburg zu finden. Dabei hatten aber schon die Vorfahren Wissen und Techniken aus der Gürtlerei mitgebracht. Manfred Schulze selbst war der Erste in seiner Familie, der sich nur in diesem speziellen Bereich selbstständig machte. Dabei konnte er schon auf Werkzeuge und Maschinen aus dem Familienbesitz zurückgreifen.

Aber was macht ein Gürtler eigentlich? Gürtler sind im Kunst- und Restaurationshandwerk angesiedelt und stellen Schmuck- und Gebrauchsgegenstände aus Metall her. Das können Zinnbecher, Möbelbeschläge, Kronleuchter, Kirchturmspitzen, Schmuck oder Kupferwärmflaschen sein. Das Aufgabenfeld ist sehr vielfältig und die Arbeit abwechslungsreich. Ein Gürtler sollte also sehr geschickt, kreativ und mit einem ausgezeichneten Vorstellungsvermögen gesegnet sein.

Wer Manfred Schulze bei seinem beliebten BAUMETALL-Workshop „Punzieren und Ziselieren“ erlebt hat, kann diese Beobachtung sicherlich bestätigen. Aus seiner Vita heraus sind seine kreativen Denkansätze durchaus nachvollziehbar. Schulze startete seine Gürtlerkarriere noch zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Nachdem er seinen Meistertitel als Klempner- und Installateurmeister erlangt hatte, legte er 1980 vor dem Verband der Bildenden Künste in Leipzig seine Gürtlerprüfung ab und durfte fortan in diesem Bereich tätig sein. Mit dem freien Markt von heute hatte das Arbeiten damals nur wenig zu tun. Buntmetalle waren nur schwer erhältlich. So kann er sich an Zeiten erinnern, in denen ihm zur Herstellung von kunsthandwerklichen Gegenständen nur zehn Tafeln Kupfer pro Jahr zustanden und diese Rationierung wurde meistens im Laufe des Jahres noch verringert. Abhilfe schafften dabei Projekte, die Unterstützung durch Partnergemeinden aus dem Westen erhielten. So konnte ein gewisser Materialvorrat angelegt werden.

Schulzes Tätigkeitsfeld in diesen Jahren war sehr breit aufgestellt. So restaurierte er für die Kirchen und stellte auch Pfannen oder Töpfe für die Küchen der Interhotels her. Das Interesse an Reparaturen oder handwerklich hergestellten Gegenständen war zu dieser Zeit in der Lokalbevölkerung trotzdem hoch. „Die Leute sind mit alten Badeöfen gekommen und wir haben sie dann zu Kronleuchtern umgearbeitet“, erinnert sich Schulze. Nach der Wiedervereinigung brach der Markt zunächst vollkommen zusammen. Der Betrieb konzentrierte sich in den 1990er-Jahren verstärkt auf Tätigkeiten an Dach und Fassade und war in der Denkmalpflege tätig. Das Gürtlerhandwerk hat im Unternehmen aber bis heute seinen festen Platz. 2021 übernahm mit Spenglermeister Steffen Schulze die nächste Generation das Thüringer Traditionsunternehmen. Auch er sieht in der speziellen Nische des Kunsthandwerks noch genügend Potenzial und ist stolz auf die Tradition, die mit seinem Familiennamen in Verbindung steht. „Wir erleben häufig, dass Kunden wiederkehren. Der Kauf von handgefertigten Zinnbechern ist sicherlich ein Luxus. Viele wissen den Wert des lebenslangen Kunstwerkes, welches sie erwerben, besonders zu schätzen und kommen mit neuen Wünschen wieder.“

Das Schulze-Team arbeitet immer noch gerne zusammen. Steffen Schulze ist es jedoch auch wichtig, handwerklich seine eigenen Wege zu gehen. „Anders kann ich ja nicht dazulernen“, gibt er zu bedenken. Trotz seiner großen Verbundenheit zum Traditionshandwerk hält der studierte Wirtschaftsinformatiker doch auch die Augen Richtung Zukunft geöffnet. Eines seiner Ziele ist es, die digitalen Betriebswege für das Unternehmen weiter auszubauen und sein Wissen gemeinsam mit seinem Vater an interessierte Handwerker weiterzugeben. Neben den bewährten BAUMETALL-Tageskursen wollen Schulzes in Zukunft verstärkt mehrtägige Workshops in Kleinstgruppen in der Werkstatt in Ronneburg anbieten.

ÜBRIGENS: Der bewährte BAUMETALL-Workshop „Ziselieren und Treiben“ findet am 10. November 2023 im Europäischen Klempner- und Kupferschmiedemuseum in Karlstadt und am 23. Februar 2024 im WIFI in Kärnten statt.

Anmeldungen ab sofort per E-Mail an redaktion@baumetall.de mit dem Stichwort: „Ziselieren“

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