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Festival House

Chamäleon auf der Promenade

Im englischen Küstenort Blackpool sucht man nicht unbedingt nach Highlights moderner Architektur. Als Wahrzeichen für die Stadt, die im gesamten Königreich und darüber hinaus wie keine andere als Synonym für Freizeitvergnügen gilt, steht noch immer allein der in die Jahre gekommene Klassiker Blackpool Tower. Mit dessen standhafter Symbolik will das augenfällige skulpturale Bauwerk auf der jetzt neu gestalteten Promenade von Blackpool auch gar nicht konkurrieren. Das Londoner Büro dRMM hat allerdings mit dem neuen Festival House ein überzeugendes Projekt realisiert, das mit einem im wahrsten Sinne schillernden Eindruck glänzt. Ganze 11km zieht sich die Promenade entlang der Küste hin, streckt dabei in ihrem zentralen Abschnitt nördlich des Vergnügungsparks Pleasure Beach gleich drei Piers ins Meer, die Passanten mit abwechslungsreichem Entertainment locken – vom Spielcasino bis zum Riesenrad, mit Cafés, Imbissbuden und Souvenirshops, eine frische Brise von der Irischen See inklusive. Zwischen Nord- und Südpier glänzt auch die Golden Mile selbst mit ihren prominentesten Highlights: Unterhaltung pur für Groß und Klein in unterschiedlichsten Dimensionen und Qualitäten. Dazwischen das gut 150m hohe Stahlgerippe des Blackpool Tower, jener skalierten Kopie des Eiffelturms, seit ihrer Fertigstellung zum Ende des 19. Jahrhunderts herausragendes Wahrzeichen der Stadt, das im Sockelgebäude heute wie damals so beständige Publikumsmagneten beherbergt wie einen kompletten Zirkus und den beeindruckenden viktorianischen Ballroom. Hier wird zur All-Night-Tanzparty oder zum sonntäglichen Tanztee geladen, oft auch zu internationalen Tanzwettbewerben. Das Tourismusangebot ist vielfältig in Blackpool, man musste sich eben schon zu Zeiten des Towerbaus etwas einfallen lassen, um die Besucherzahlen des frühindustriellen Zeitalters zurückzugewinnen, als die Fabriken der nahen Industrieregionen sommers im abgestimmten Wechsel schlossen, um ihre Arbeiterschaft ganz selbstverständlich hierher in die Ferien zu entlassen. Deshalb verwandelt auch die traditionelle Lichtinstallation Illuminations die Promenade schon seit annähernd 140 Jahren ab Ende Oktober in ein Lichtermeer, das manche großstädtische Weihnachtsbeleuchtung blass erscheinen lässt. Seit neuestem zeigt sich dann eine viel versprechende Szenerie: Mit dem Abschluss der dringend erforderlichen Promenadenrenovierung zur Saison 2012 wurde jetzt der jüngste entscheidende Schritt in Richtung erhöhter Tourismus-Attraktivität realisiert.

Modern und einladend

Im gegebenen städtischen Kontext präsentiert sich die neue Promenade beinahe ein wenig surreal – ist überwiegend in rötlich-gelbem Sandsteinton gestaltet, zur Stadt hin gesäumt von der wiederbelebten Straßenbahnlinie und der jetzt auf zwei Spuren reduzierten Fahrbahn, zum Ufer hin von der in großzügigen Schwüngen verlaufenden „Spanischen Treppe“. Dieser ästhetisch sehr überzeugende Ersatz für die bisherige Ufermauer ermöglicht jetzt bei Ebbe einen überaus großzügigen Zugang zum Strandabschnitt zwischen den Piers. Im nördlichen Bereich, in Richtung Tower und Nordpier, verbreitert sich die Promenade zum Tower Festival Headland, einem mit augenfälligen Objekten bespielten Platz. Wie überdimensionierte Strandkiesel laden hier organisch geformte Steinskulpturen zum Ausruhen ein, der aufwendig in Steinintarsien gefertigte Comedy Carpet schmückt den Boden wie eine riesige, in lebendig-wechselhafter Typographie gestaltete Zeitungsseite, gespickt mit Zitaten bekannter britischer Comedians, und turmhohe schwarze Skulpturen in Tulpenform biegen sich dank der hohen Flexibilität ihrer Stiele graziös im Wind.

Dem architektonischen Highlight dieses Ensembles bietet der Platz am nördlichen Ende eine angemessene Bühne. Ein eingeschossiger Sockelbau mit elegant gefaltetem, allseitig auskragendem Flachdach, der sein Innenleben nach Süden hin durch eine großzügige Glasfront einsehbar macht und sich als Restaurantbetrieb zu erkennen gibt, geht an seinem gegenüberliegenden nördlichen Ende in einen um zwei weitere Etagen aufgestockten Mini-Turm über. Dessen formales Spiel mit unterschiedlichen Richtungs- und Neigungswinkeln lässt Fassadenflächen in variationsreichen Trapezformen entstehen sowie eine markante erkerähnliche Ausstülpung der oberen Etage, die mit ihrer verglasten Front die Fluchtlinie mit vielsagendem Blick auf den Blackpool Tower schneidet. Mit einer gelungenen Formensprache überrascht hier das für derart skulpturale Arbeiten bisher nicht bekannte Londoner Büro dRMM, um gleichzeitig mit seinem schon wiederholt bewiesenen Gespür für innovativen Materialeinsatz alte Tugenden zu bewahren. Hier ist es vor allem die allseitige Metallhülle der aufgesetzten Turmkonstruktion, die der Form ihre Materialität verleiht und unmittelbar Aufmerksamkeit erregt. Schon in der Momentaufnahme zeigt das Muster aus rautenförmigen Schindeln sein facettenreiches Spiel mit Struktur und Farbe. Je nach Lichtqualität erscheint jede Raute in einem charakteristischen Grundton mit individuellem Farbverlauf – von Smaragdgrün bis Goldgelb, von Rotbraun bis Blauviolett. Dabei erzeugt der Lichteinfall auf die in unterschiedlichen Winkeln geneigten Fassadenflächen entsprechend variationsreiche Reflexionen und die verschiedenen Phasen der wechselnden Lichtverhältnisse erzeugen einen verblüffenden Ablauf der vielfältigsten optischen Eindrücke. In der Tat entzieht sich die Fassade einer definitiven farblichen Charakterisierung. In Extremfällen erscheint sie einmal wie in Messing gehüllt, dann wieder wie in Gold gegossen. Das Geheimnis dieser Chamäleonhaut ist ein farbiges Edelstahlblech mit intelligent geprägter Struktur, das dank höchst präziser Vorfertigung und Projektierung seine beispiellose ästhetische Wirkung hier voll entfalten kann. Zumindest ebenso willkommen sind auch die ausgewiesenen Materialvorzüge wie hohe Widerstandsfähigkeit und lange Lebensdauer, vor allem wenn im Herbst das stürmische Gemüt der Irischen See das Meerwasser bis über die Promenade peitscht und selbst der Blackpool Tower oft noch bis in Höhen von über 90m mit einer Salzkruste überzogen wird.

Funktion und Nutzung

Festival House ist in erhabenen Lettern neben dem Eingang auf dem getreppten hellen Betonsockel mit den phosphoreszierenden Glaseinschlüssen zu lesen, der das gesamte Erdgeschoss allseitig ummantelt. Der verglaste Zugang an der Nahtstelle zwischen Turmsegment und Vorbau führt direkt zur örtlichen Touristeninformation und über das dank großzügiger Fenstereinschnitte lichtoffene Treppenhaus zum örtlichen Standesamt, das die beiden oberen Etagen belegt. Ganz oben gibt sich der nach außen hervortretende Erker als Vermählungsraum zu erkennen, wie der gesamte Innenbereich des Gebäudes wand- und deckenseitig konsequent mit durchgehenden CLT-Brettsperrholzflächen gestaltet. Die Glasfront am schmalen Ende des trapezförmigen Raums weist direkt hinüber zum Blackpool Tower. Vom Tisch des Standesbeamten aus genießt das Brautpaar so den vollen Blick auf den ständig anwesenden, stummen Trauzeugen. Nach der Zeremonie bietet der insbesondere für Hochzeitsfotos prädestinierte Balkon in der mittleren Etage dann das volle Panorama mit Blick auf Meer, Piers, Tower und Promenade. Den kann man allerdings auch – zwar ein wenig eingeschränkt, dafür aber jederzeit trocken und sturmfrei – durch die großzügigen Fensterflächen des Restaurants im eingeschossigen Vorbau genießen, wo ein sympathisch auf die bauliche Gestaltung abgestimmtes Interieur dazu einlädt, bei vorzüglicher Aussicht das neue Strandszenario Blackpools zu erleben.

Metallfassade

Die einzigartige ästhetische Wirkung der Polyspektralfarben an der Metallfassade des Festival House basiert auf dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Die rautenförmigen Plantec-Systemschindeln des norddeutschen Unternehmens MN Metallverarbeitung Neustadt zeichnen sich schon allein aufgrund ihrer speziellen Oberflächenstruktur durch charakteristische Reflexionseigenschaften aus. In Ergänzung zu den unterschiedlichsten Perforationen und Prägungen, die das Unternehmen bereits unter Einsatz aller möglichen Baumetalle und Legierungen für innovative gestalterische Lösungen in der Architektur realisiert hat und unter dem Markennamen Plantec anbietet, wurde in diesem Fall eine individuelle Positiv/Negativprägung entwickelt, die vielfältigste Lichtbrechungen und -reflexionen und damit unzählige Farbnuancen erzeugt. Als Basismaterial dienten hier die im Colourtex-Verfahren des britischen Herstellers Rimex gefärbten Edelstahlbleche, die durch ihre charakteristischen Farbverläufe zusätzlich leichte Variationen auf der als Mirror Gold 6WL bezeichneten Oberfläche aufweisen. Nicht zuletzt ist es ein Charakteristikum der traditionellen Schindeldeckung, dass nicht alle Rautenelemente im exakt gleichen Winkel zum einfallenden Licht stehen und dementsprechend leicht unterschiedlich reflektieren.

Die Färbung des Edelstahlblechs wird produktionsseitig durch eine Anreicherung der Oxidschicht generiert, was auch eine weitere Optimierung der Korrosionsbeständigkeit zur Folge hat. Für die exponierte Lage des Festival House besonders wichtig: Die Bleche sind witterungsfest, UV-beständig und bis 200°C absolut farbecht. Alterungseffekte sowie Abrisse oder Abblätterungen können ebenso ausgeschlossen werden wie materialverändernde Licht- oder Witterungseinflüsse. Ebenso problemlos sind die Verarbeitungseigenschaften: Vorgänge wie Lasern, Kanten, Biegen oder Tiefziehen sind auch mit den gefärbten Oberflächen uneingeschränkt möglich, da die aufgebaute Oxidschicht organisch mit dem Basiswerkstoff verbunden ist und somit eine äußerst hohe Elastizität aufweist.

Metall-Spezialitäten

Die Positiv/Negativprägung der Bleche stellt traditionelle Fertigungstechniken allerdings schnell vor Probleme, da das technisch zu berücksichtigende Dickenmaß nicht wie bei Edelstahlblech üblich zwischen 0,5 und 0,8mm liegt, sondern mit 2 bis 3mm angesetzt werden muss. In Verbindung mit den hohen formal-­gestalterischen Ansprüchen des Projektes und der notwendigen individuellen Systementwicklung war deshalb ein ungewöhnlich hoher Grad an Know-how in Vorfertigung und Projektierung gefragt – bisher wohl einmalig für ein eher traditionelles Dach- und Fassadensystem. Als Spezialist für technische Eleganz war das Unternehmen MN der ideale Partner für das Projekt, der die gesamte Metallhülle montagefertig anliefern konnte und auch als Schnittstelle für alle Gewerke fungierte. Die weitreichenden Erfahrungen mit kreativer Metallbearbeitung nach individuellen Kundenwünschen, gepaart mit den beispiellosen Möglichkeiten eines modernen Blechbearbeitungszentrums ermöglichten eine höchst konzentrierte Aufgabenbündelung: Vorkonfektionierung der kompletten Metallhaut, Entwicklung spezieller Werkzeuge für die individuellen Systeme, interne Abwicklung der Laserzuschnitte, Realisierung des kompletten Bausystems inklusive Lüftungselemente, Mauerabdeckungen, innenliegende Dachrinnen. Dabei waren die besonderen Herausforderungen nicht allein in den spektakulären Aspekten der Gebäudehülle zu finden: Das intelligent gefaltete Restaurantdach basiert auf einer mehrfach geneigten klassischen Stehfalzkonstruktion, die aufgrund der zu berücksichtigenden Längs- und Querdehnung des Materials ganz besondere Lösungen für den Zuschnitt verlangte. So erweist sich die Chamäleonhaut in mehrfacher Hinsicht als Hybridprojekt: klassisches Edelstahlblech mit Hightech-Finish, traditionelle Verlegetechnik mit industriellem Know-how.

AUTOR: Klaus Sikora

BAUTAFEL

Projekt: Festival House, Blackpool (UK): Standesamt Blackpool; Tourist Information Centre; ­Restaurant. Fertigstellung im Januar 2012

Bauherr: Gemeinde Blackpool

Architekten: dRMM, London

Bauunternehmer: Parkinson Building Contractors

Bauleitung: dRMM, London

Projektleitung: LDA Design

Metallbekleidung

Fassadensystem: Plantec-Systemschindeln

Metallwerkstoff: Edelstahl gefärbt, Mirror Gold 6WL von Rimex Metals (UK)

Entwicklung, Vorfertigung, Projektierung: MN Metallwerke Neustadt

Verarbeiter/ Fachbetrieb: Richardson Roofing, London

Rechte: MN Metallverarbeitung Neustadt GmbH

Zeichnungen: dRMM

Photos und Text: Redaktion Klaus Sikora, Kommunikation

INFO

Messerückblick

Auf der Bau 2013 in München präsentierte die MN Metallverarbeitung Neustadt GmbH gefärbte, geprägte oder speziell geformte Metall­elemente und Metallprodukte zur Anwendung an Fassaden im Außen- oder Innenbereich. Als Partner für kreative Sonderlösungen arbeitet das Unternehmen eng mit unterschiedlichen Metallanbietern wie KME oder Rheinzink zusammen. Beispielsweise entstanden auch einige der von Rheinzink vorgestellten Flächendesigns in enger Zusammenarbeit mit MN.

MN Metallverarbeitung Neustadt GmbH

https://www.mn-metall.de/

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