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Vom Labor aufs Dach

Diese Erfahrung machte Andreas Zeltwanger von der H. Robert Mayer Zeltwanger & Co. GmbH in Stuttgart. Auf der Kaufmann-Hausmesse in Ulm feierte einer seiner Gesellen erst vor Kurzem seine Lossprechung, und zwar mit Bestnoten. Simon Böhm kam vom Labor aufs Dach – und fühlt sich dort wohl! Der Diplom-Chemiker fand nach seinem Abschluss 2009 keine feste Stelle. Er hatte sich auf die Grundlagenforschung im Bereich PV-Anlagen spezialisiert. Als er sich nach Verlassen der Uni auf Jobsuche begab, wurden die staatlichen Fördergelder für die Photovoltaik gekürzt. Dadurch gerieten etliche Hersteller und Forschungsinstitute in Deutschland in Schieflage und die Produktion war nur noch in China rentabel. Nach einem sechsmonatigen Praktikum in der Solarzellforschung, auf das keine Übernahme folgte, war er vier Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Zürich tätig. Da die Stelle nur befristet war, entschied Simon Böhm im Anschluss daran, sich beruflich anders auszurichten.

Arbeitsbedingungen in der Branche könnten besser sein

Sein generelles handwerkliches und bautechnisches Interesse führte ihn in Richtung Dach: Er absolvierte ein dreiwöchiges Praktikum bei einem Dachdeckerbetrieb, der auch Flaschnerarbeiten ausführt. Dabei stellte er fest, dass die „Flaschnerei“ ein wesentlich handwerklicherer Beruf ist als der des Dachdeckers. Das Berufsbild war ihm vorher nur vage bekannt gewesen. Eine Berufsberatung hatte er nicht in Anspruch genommen, stattdessen hatte er sich im Internet informiert. Mit 31 Jahren wagte er den Neuanfang und begann die Ausbildung mit doppelt verkürzter Lehrzeit auf zwei Jahre. „Die Theorie war kein Problem, handwerklich musste ich noch etwas nebenher üben“, kommentiert Simon Böhm diesen Schritt.

Der Beruf erfüllt im Wesentlichen seine Erwartungen, die Arbeitsbedingungen sind aber, verglichen mit anderen Branchen mit starkem Fachkräftemangel, relativ ungünstig. „Wenn sich daran nicht bald etwas ändert, wird der Mangel nicht weniger werden“, meint Böhm. Damit bezieht er sich auf verschiedene Aspekte: Gleitzeitregelungen sind heute oft Standard in Büroberufen; ein Stundenkonto für Schlechtwetterzeiten ist aber keine selbst eingeteilte Gleitzeit, auch wenn dies manchmal so dargestellt wird. Weitere Leistungen wie betriebliche Altersvorsorge, Familienfreundlichkeit etc. sind auch noch lange nicht flächendeckend bis in die kleinen Handwerksbetriebe durchgedrungen. Das Gehalt ist für die Baubranche sicher im Durchschnitt, allerdings eher kein Lockargument. Karrieremöglichkeiten sind oft begrenzt, eine Stelle als angestellter Meister zu bekommen (die auch nach entsprechendem Tarif bezahlt wird) ist nicht so einfach. Daher sind die Selbstständigkeit oder der Gang in die Industrie hier fast die einzigen Perspektiven.

Das gute Gefühl, etwas Schönes zu schaffen

Was Böhm am Flaschnerhandwerk besonders schätzt, ist die frische Luft und das viele Herumkommen. Außerdem verleiht der Beruf das gute Gefühl, etwas Schönes zu erschaffen, das auch lange hält und dabei seine Funktion erfüllt. In der Zukunft kann er sich vorstellen, in Richtung Meister oder Techniker zu gehen. Ob er den Weg in die Selbstständigkeit einschlagen will, ist derzeit noch offen.

Jungen Leuten, die vor der Berufswahl stehen, empfiehlt Böhm, gut zu prüfen, ob sie tatsächlich für den Beruf geeignet sind – etwa in einem Praktikum. „Extrem wichtig ist es, einen guten Ausbildungsbetrieb zu haben. Man verbringt schließlich den Großteil der Ausbildung im Betrieb bzw. mit den Kollegen auf den Baustellen.“

Berufswahl auf Umwegen

Simon Böhm ist nicht der einzige Azubi bei Zeltwanger, der erst auf Umwegen in die Branche gelangt ist. In der Belegschaft ist auch ein Studienabbrecher, der seine Ausbildung erst im Alter von 27 Jahren begann. Vor der Lehre hatte er verschiedene Studiengänge ausprobiert, ohne das Richtige für sich zu finden. Außerdem bildet das Unternehmen einen Abiturienten aus, der bei Ausbildungsbeginn 20 Jahre alt war. In allen drei Fällen ging die Kontaktaufnahme mit dem Betrieb von den jungen Berufsanwärtern aus. Ausbilder und Chef Andreas Zeltwanger ist mit seiner Strategie, auf ältere Nachwuchskräfte zurückzugreifen, gut gefahren. Das Potenzial ist da, denn es liegt auf der Hand, dass bei steigenden Abiturienten- und Studentenzahlen der Anteil derer, die kein zufriedenstellendes Arbeitsverhältnis finden, sich auch erhöht – schließlich wächst ja die Zahl der Arbeitsplätze für Akademiker nicht automatisch mit. Darüber, wie viele junge Menschen Abitur machen, entscheidet maßgeblich das Bildungssystem, über die Menge der verfügbaren Stellen aber die Wirtschaftslage. Von älteren Lehrlingen profitieren auch die Betriebe, denn sie haben – laut Zeltwanger – die Pubertät schon hinter sich und sind persönlich reifer als 15- oder 16-Jährige. „Attraktiv ist der Flaschnerberuf allemal, denn er hat etwas Exotisches und Exklusives. Das macht nicht jeder.“

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