Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

30 000 Schindeln

Die Metall-Schindeln stammen aus der Produktion der Firma Böhme Systems. Fast 1000 km legten sie von Boxdorf bei Dresden bis nach Weißrussland zurück. Dort eingetroffen entwickelte sich die Montage zur Herkules-Aufgabe, um das geradlinige Raster an die gewölbte Oberfläche und die runden Öffnungen anzupassen. Diese auffälligen Flächen erlauben spannende Blicke durch die Fassade, die somit nicht nur leicht wirkt, sondern auch die Transparenz der Arena symbolisch unterstreicht.

Flache, leichte Sonderschindel

Die ausgedehnte Fassadenfläche umfasst gut 8000 m², die etwa 30 800 Schindeln bedecken. Durch die quadratische Kantenlänge von 510 x 510 mm im Sichtbereich entsteht ein großformatiges Raster mit gleichmäßig diagonalen Linien. Eine 0,7 mm starke Metallschindel in kompletter Größe wiegt nur ca. 700 g, sodass bei einem Gewicht von 2,7 kg pro m² etwa 21,6 t Aluminium auf der Außenhülle lasten. Statt einer farbigen Beschichtung wurden die Classic-Schindeln des Typs Efficient als Sonderanfertigung blank gebürstet (Alu Natur Bright Brushed). Das Material, das hervorragend der Korrosion standhält und nicht brennt, zeichnet sich durch einen silbernen Oberflächenglanz aus. Zwischen der hellen Fassade und den unbekleideten Bereichen, die fast schwarz wirken, entstehen intensive Kontraste. Ab der Dämmerung schimmert das Aluminium in hellblauen Farbtönen. Im Gegensatz dazu tendieren die durchsichtigen Bereiche bei eingeschalteter Stadionbeleuchtung von Weiß und Gelb bis ins Orange.

Rauten auf gewölbtem Grund

Die Installation der Gebäudehülle übernahmen Fachbetriebe aus der Region. Rautenförmige Muster zählen schon an ebenen Wandflächen zu den anspruchsvollen Bekleidungen. Höchste Präzision war gefragt, damit sich das Raster auf der gewölbten Oberfläche nicht verschiebt. Die Montagerichtung der Schindeln verlief von unten nach oben. Dabei haftet die erste Reihe der Schindeln mehr parallel als lotrecht über dem Boden, weil sich die Fassade in einem sehr spitzen Winkel hervorwölbt. Beim fluchtgerechten Verlauf der diagonalen Linien war auch ein Bewegungsspielraum für die Wärmeausdehnung der Schindeln einzukalkulieren. Die Maßarbeit wird anhand der Harmonie ersichtlich, mit der sich das Raster rund um alle unbekleideten Bereiche wieder zusammenfügt. Die Schindeln an den Kanten wurden bogenförmig angeschnitten. Interessante Details: Spezielle Profile dichten die Simse am Rand der unbekleideten Flächen ab. Sie ragen über die Fassadenebene hinaus und halten so den Niederschlag zurück, der an den Schindeln herunterläuft, damit das Wasser nicht über die transparenten Flächen in die Arena fließt.

Unsichtbare Kontaktlinien

Der Bau der Fassade, den Böhme Systems mit Ingenieuren vor Ort begleitete, begann im Sommer 2013. Spezielle Haften dienten zur Befestigung der Rauten. Die Montageteams hakten die Schindeln mittels umlaufenden Falz in die zuvor angehefteten Schindeln ein und fixierten sie. Dabei verschwinden die Hafte hinter den überlappenden Kanten. So entstand ein stabiler Halt an der nicht vollflächigen Unterkonstruktion. Besonderen Wert legten die Verarbeiter auf den Abschluss der Fassade entlang sogenannter Kontaktlinien. Nach Angaben des Herstellers treffen an diesen Linien die Muster aller vier Fassadenseiten aufeinander. Die Montageteams verlegten die Schindeln entlang dieser Linien zum Schluss, indem sie die Schindeln angeschnitten einhängten, damit die Linien kaum zu sehen sind. Ende November 2013 war die Fassade komplett installiert.

Stahlskelett mit stabilem Gerüst

Die Außenhaut der Arena ruht auf einer sehr bemerkenswerten Metallkonstruktion.

Hakenförmige Stahlträger halten das Dach und die Fassade. Am Boden wurden diese Träger in Stahlbeton verankert. Zusätzliche Betonsäulen hinter den Tribünen lenken die Last von den weit in die Stadionmitte ragenden Trägern hinab zum Boden. Im Bereich der Fassade wurden zwischen den Trägern horizontale Streben eingezogen, an denen wiederum vertikale, bogenförmige Rippen befestigt wurden. Eine Unterkonstruktion aus perforierten Metallprofilen verschließt die gewölbten Rippen. Diese schwarzen Loch-Profile erzeugen die extravagante, teildurchlässige Transparenz. Je geringer die Distanz zum Lochgitter ausfällt, desto mehr Einblicke ins Innere gestattet es. Die Schindeln haften auf einer Unterdeckung aus Kunststoff an den Metallprofilen. Höchste Genauigkeit erforderte die Markierung der unbekleideten Flächen, um die Unterdeckung und Rauten bogenförmig anzuschneiden. Die Rückseite der Fassade blieb innen offen– hinterlüftet und einsehbar.

Bogenförmiges Doppeldach

Die Dachwölbungen über den vier Zuschauertribünen wirken wie die Fortsetzung der runden Außenhaut. Ein Doppeldach gewährleistet die Dichtigkeit. Trapezprofile am Gerüst zwischen den Stahlträgern und ein ausgeklügeltes Gefälle vom Stadionzentrum Richtung Außenrand sorgen dafür, dass kein Wasser aufs Spielfeld tropft oder sich auf dem Dach staut. Zwischen dem Dach und der Fassade verläuft ein Entwässerungskanal rund ums Stadion, damit der Niederschlag nicht vom Dach in die Fassade fließt. Die äußere Schicht der Bedachung besteht aus Aluminiumschindeln – in optischer Harmonie mit der Fassade. Die Stabilität der gesamten Dachkonstruktion wurde so ausgelegt, dass sie neben dem Eigengewicht auch noch die Beschallung und die Scheinwerfer fürs Spielfeld tragen kann, die an der inneren Dachkante befestigt sind. Flutlicht auf vier Dachträgern in den Stadionecken beleuchtet das Feld zusätzlich.

Formen der Natur entlehnt

Nach den Vorbereitungen beauftragte der Fußballclub das slowenische Büro Ofis Architekten mit der Planung des Neubaus. Dem Architektenteam dienten Strukturen aus der Natur als Inspiration für ihre Gestaltung, darunter Seifenblasen, Wasser- und Öltropfen sowie Zellwände: „Die Arena formt einen einzigartig gerundeten Dom,“ beschreiben die Architekten ihre Vision zu den Wölbungen. „Es entsteht der Eindruck eines einzelnen, in sich geschlossenen Objektes.“ Die Gestalt der Trennwände, mit denen sich Tropfen, Zellen und Seifenblasen in einer geordneten Struktur voneinander abgrenzen, flossen auch ins Design des Stadions ein. Die Arena weist damit Parallelen zum Stil der Freiform-Architektur auf. Bei dieser relativ jungen Richtung basieren die fließenden, gerundeten Formen der Bauwerke auf sogenannten Freiform-Kurven. Den Weg dafür ebnete moderne Entwurfssoftware für Architekten (Computer Aided Design), in denen die Kurven als Werkzeug zur Darstellung konkaver und konvexer Oberflächen dienen.

Transparentes Konzept

„Die Haut vermittelt den Eindruck eines zerbrechlichen, gedehnten, durchlöcherten Stoffes, der über das Stadion-Skelett gezogen wurde,“ erklären die Architekten die ca. 178 durchsichtigen Fassadenflächen. Ohne diese Muster würde das Stadion hermetisch verschlossen wirken. Das perforierte Metall bleibt für beide Blickachsen transparent. Besucher können aus dem Stadion herausschauen und von außen in die Arena hineinsehen. Die Gebäudehülle greift das Nutzungskonzept des Stadions auf, indem das 32 000 m2 große Gelände der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Über die Fußballspiele hinaus können Gäste ein Fitnessstudio besuchen oder Rollerskates ausleihen. Die Wege und Parkflächen eignen sich ideal zum Skaten und Fahrradfahren. Der frühere Truppenübungsplatz südwestlich von Borisov verwandelte sich durch den Neubau in eine Freizeitstätte, die vor allem Kinder zum Spielen für sich entdeckt haben.

Auf den ersten Blick erscheinen die schwarzen Fassadenflächen frei geformt und chaotisch angeordnet. Von Norden, Süden, Osten und Westen aus betrachtet, werden jedoch Symmetrien sichtbar. Wie die spiegelbildliche Rautenform der Schindeln verdeutlichen die durchsichtigen Flächen, dass die Arena bis ins Detail symmetrisch geplant und konstruiert wurde. Ein Blick aus der Vogelperspektive und auf die Querschnitte des Gebäudes offenbart zahllose Symmetrien, z. B. auch an den Wölbungen im Dach. Ihren Mittelpunkt finden viele Symmetrieachsen im Anstoßpunkt des symmetrisch in Nord-Süd-Richtung angelegten Fußballfelds. Die Architektur folgt sehr klar dem Nutzungskonzept und den Spielregeln des Sports.

Moderne Ausstattung

Die neue Sport-Arena zählt zu den modernsten Stadien Europas und erfüllt die Richtlinien der UEFA. Die Tribünen fassen gut 13 000 Zuschauer. Sie verfügen über VIP-Plätze sowie einen ansprechenden Pressebereich. Im Jahr 2009 begannen die Planungen. Die Grundsteinlegung fand am 12. November 2010 gemeinsam mit dem Staatspräsidenten, den Architekten und dem Trainer statt. Mit einer Zeremonie und einem Eröffnungsspiel wurde die Arena am 3. Mai 2014 feierlich eingeweiht. Eine Flaniermeile rund um die Geschäfte, Bars und Servicestationen eröffnet interessante Einblicke in das beeindruckend konstruierte Stahlskelett sowie auf die spektakuläre Gebäudehülle.

Bautafel

Objekt:Fassade an der neuen Arena, Borisov, Weißrussland

Bauherr: Fußballclub FK Bate Borisov, Region Borisov

Architektur: Ofis Architekten, Rok Oman und Špela Videonik, Ljubljana, Slowenien

Ingenieurbüro: Magnus Gruppe, Minsk, Weißrussland

Montage: regionale Unternehmen

Material:Classic-Schindel Typ Efficient aus Aluminium, Alu Natur bright brushed

Hersteller:Böhme Systems GmbH, Boxdorf bei Dresden

Konstruktion:Metall

Fotos:Tomaz Gregoric

Pläne und Visualisierungen: Ofis Architekten, Ljubljana

www.boehme-systems.de

www.ofis-a.si

www.fcbate.by

www.stadiumdb.com

Autor

Henry Rasch

ist Inhaber des Verlages Illustrierte Welten & Informationen in Berlin.

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ BM E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Themenhefte
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen