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Kongresssaal Interlaken

Spiegel an der Wand

Manchmal ist das Spenglerleben schöner als ein Märchen. Erst recht dann, wenn der Blick in den Spiegel nur Gutes verheißt. Und wer weiß – vielleicht hat sich diese Geschichte tatsächlich folgendermaßen zugetragen: Irgendwann, vor nicht allzu langer Zeit, standen die Spenglermeister Heinz und Remo Wyss stolz vor der riesigen Spiegelfassade des neu errichteten Kongresssaales von Interlaken. Vater und Sohn beobachteten gespannt, wie das Fassadengerüst demontiert und der Blick auf eine der spektakulärsten Fassaden der Schweiz freigegeben wurde. Die Sonne tauchte die Welt in warmes Licht – die umliegende Atmosphäre, die Bäume des nahe gelegenen Parks sowie die benachbarten Gebäude spiegelten sich farbenfroh in den Edelstahl-Paneelen der meisterlich ausgeführten und facettenreichen Hochglanzfassade. Es war ein denkwürdiger Tag. Vergessen waren die wochenlange Anspannung, die extreme Herausforderung und auch die zahllosen Arbeitsstunden, die beide Spengler gemeinsam mit einem kompetenten Team geleistet hatten. Vom Anblick der Fassadenschönheit regelrecht überwältigt, stellten sich die beiden Herzblutspengler vom Berner Fachbetrieb Ramseyer und Dilger AG folgende Frage: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wo steht die schönste Fassade im Land?“ Und weil es auch in der Schweiz keine Zufälle gibt, kam es, wie es kommen musste: Schon bald darauf reiste eine vom „Verein diplomierter Spenglermeister der Schweiz“ entsandte und fachkompetente Jury durch das Land. Auf der Suche nach der „Goldenen Spenglerarbeit 2011“ besichtigte die VDSS-Delegation auch den Kongresssaal in Interlaken und entdeckte dort, dass nicht nur die Fassade, sondern auch das Stehfalzdach des Gebäudes in bester Spenglertechnik ausgeführt worden war. Und so nahm die Geschichte ihren Lauf…

Spenglertechnik ermöglicht wegweisende Gebäudehülle

Im Zentrum von Interlaken befindet sich direkt neben dem historischen Casino der neue Kongresssaal. Die homogene Edelstahlbekleidung des Neubaus erfüllt die übergeordnete Gestaltungsidee, ein neutrales Gebäude zu errichten, perfekt. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Materials als auch beim Farbkonzept des imposanten Bauwerks. Während die gut einsehbare Edelstahl-Dachlandschaft wie eine fünfte Fassadenfläche wirkt, spiegeln hochglänzende Fassaden die Umgebung als facettenreiches Bild. Dabei ist der Baukörper einerseits präsent, nimmt sich aber andererseits in der Wahrnehmung des Betrachters deutlich zurück. Dieser Balanceakt gelingt vor allem dank der beispielhaften Selbstverständlichkeit und dem selbstbewussten Auftritt des Gebäudes. Auch die angrenzende und sensible Silhouette des historischen Ensembles, bestehend aus einer Parkanlage und unterschiedlichen Gebäuden, profitiert vom Glanz des neuen Kongresssaales. Die aus vertikal angeordneten und spiegelnden Paneelen bestehende Metallhaut des Monolithen nimmt die Strukturen, Farben und Formen der Umgebung regelrecht auf und wirkt dabei dennoch ausgesprochen homogen.

Bei der Planung der gesamten Gebäudehülle sowie der Dachlandschaft musste die geografische Lage des Objektes, die extreme Föhnlage sowie die örtliche Eis- und Schneesituation berücksichtigt werden. Der Auftraggeber entschied sich daher dafür, Planung, Statikberechnung der Gebäudehülle und Ausführung aus einer Hand zu beauftragen. Erschwert wurde der Auftrag durch die Tatsache, dass mit der Fertigung der Fassadenelemente bereits vor Vollendung des Rohbaus begonnen werden musste. Somit stellte sich die Herausforderung, die Unterkonstruk­tion von außen nach innen zu vermessen. Durch die Rohbautoleranzen wurde das gesamte Unterkonstruktionssystem auf die Probe gestellt. Durch sorgfältige Planung und optimierte Vermessungsmethoden gelang es jedoch, eine hohe Maßgenauigkeit der Unterkonstruktion (und damit auch der Fassadenbekleidung) zu erzielen.

Das Dach als fünfte Fassade

Die Dachlandschaft, bestehend aus vier verschiedenen Dachflächen, weist eine Vielzahl an unterschiedlichen Neigungen und Winkeln auf. Dies stellte für die Konstruktion der Dächer und der Dachentwässerung eine besondere Herausforderung dar. Aufgrund der extremen Länge der Stehfalzscharen musste deren Ausdehnung gesondert berücksichtigt werden. Auch der tief liegende First wurde wegen der außergewöhnlichen Witterungsverhältnisse speziell konstruiert. Da die Montage im Winter erfolgte, spielte der Wetterfaktor eine bedeutende Rolle. Die komplette Vorfabrikation der Scharen und Bauteile ereignete sich in der Werkstatt. Zahlreiche Einzelteile wurden anschließend vor Ort wie ein Puzzle zusammengefügt. Die im Doppelstehfalzsystem ausgeführten und mit einem Clip-Relief sowie einer Doppelsicke ausgestatteten Scharen bestehen aus 0,5-mm-Edelstahl. Zur Eindeckung der 2400 m² großen Dachfläche wurden rund 19 t Roofinox Pearl verarbeitet. Die Anlieferung des 625 und 1000 mm breiten Bandmaterials erfolgte auf Coils, die Fertigung der Bauteile in der Werkstatt des Fachbetriebes Ramseyer und Dilger AG in Bern.

Natürlich war für die perfekte Montage der Scharen eine ebensolche Unterkonstruktion erforderlich. Um während der Arbeiten den nötigen Witterungsschutz zu garantieren, wurde die belüftete und 27 mm starke Holzschalung mit einer Trennlage versehen.

Firste und Grate

Aufgrund der extremen Winterwitterung sowie zum Schutz vor Verschmutzungen wurde die Dachflächen-Trennlage zunächst über den First und die Grat-Entlüftungsöffnungen geführt. Im nächsten Schritt stellten die Spengler an den First- und Gratbereichen eine klassische Metalldachaufbordung her. Die entsprechenden Lüftungsschlitze wurden jedoch erst kurz vor der Montage der First- und Gratabdeckungen geöffnet. Die Abdeckungskonstruktion besteht aus speziellen Profilen sowie an den Falzen befestigten Edelstahl-Falzklemmen. Diese Klemmen verbinden die eingesetzten 2-mm-Aluminium-Streckmetall-Profile sturmsicher mit den Falzen. Zur Erhöhung der Stabilität brachten die R+D-Spengler sogenannte Omega-Profile aus 2-mm-Aluminium an. Insgesamt ermöglichten die beschriebenen Vorkehrungen die sichere und zugleich formschöne Befestigung der Roofinox Pearl-Firstabdeckung samt der darunter angebrachten, stabilen Dreischichtbrett-Unterkonstruktion.

Versteckte Entwässerung

Die am Mittelkranz sowie am Dachrand verlaufenden, innen liegenden Dachrinnen bestehen aus 0,7-mm-Roofinox Pearl. Die groß dimensionierten Einbaurinnen verfügen über direkt angekantete Traufbereiche, welche wiederum mit dem Unterdach verbunden wurden. Darüber angebrachte PVC-Entlüftungsgitter decken die Belüftungsöffnung ab. Ein zusätzliches Einlaufblech sowie ein zur Winddichtung angeschlossenes U-Profil sorgen auf über 250 m Länge für detailgetreue Perfektion. Auch die Entwässerungsstutzen überzeugen: Dank ihrer Formgebung von eckig auf rund leiten die als spezielle Übergangsstutzen konzipierten Ablaufelemente das Niederschlagswasser durch PE-Steckmuffenanschlüsse sicher in die weiterführenden Abwasserrohre. Um Laub- und Schmutzablagerungen zu vermeiden, verfügen die Stutzen über 20 x 20 cm große und mit einer Quadratlochung ausgestattete Laubkörbe. Formschöne, in die Fassade integrierte Notüberläufe sowie ein Rinnenheizband garantieren selbst bei Minusgraden Funktionsfähigkeit. Ein Schneefang-System aus Aluminium hält die Schneemassen sicher auf dem Dach.

Fantastische Fassade

Die hochglänzende Fassade besteht aus unzähligen und einzeln gekanteten, 1 mm starken Edelstahlpaneelen. Das polierte Material trägt den Namen Ugi­bright. Es wurde auf einer Fläche von 2200 m² foliert verarbeitet. Um eine sichere Steckverbindung und die optimale Befestigung der Paneele auf der horizontal verlaufenden Unterkonstruktion zu ermöglichen, brachten die Spezialisten aus Bern an jedem einzelnen Fassaden-Element eine „Tasche“ und eine „Lasche“ an. Das Fassadenraster passten sie exakt an die Türen, Fenster und andere Aussparungen an. Dazu fertigten sie die einzelnen Fassaden-Elemente in Breiten von 301,5 mm bis 302,25 mm. Einen wesentlichen Aufwand stellte auch die Ausbildung der dreieckigen Insektenschutzelemente aus 1-mm-Aluminium an den Sockel- und Sturzbereichen der Fassade dar.

Überhaupt wurden sämtliche An- und Abschlüsse aus demselben stark spiegelnden Material hergestellt. So erzeugen beispielsweise speziell gelochte Paneele im Bereich diverser Lüftungsöffnungen oder vor den Verglasungen interessante Spiegelbilder. Immer wieder wundern sich aufmerksame Betrachter darüber, wie eine Fassade mit einem derartigen Glanzgrad baupraktikabel entstehen kann. Was, so fragen sie, geschieht beispielsweise mit Staub- und Schmutzpartikeln, die bei Regen vom Gerüst abprallen und die Fassade verschmutzen, und wo verbergen sich die Befestigungspunkte der Gerüstanker? Die Antwort ist ebenso einfach wie genial: Die Montage der ohnehin folierten Paneele erfolgte ausschließlich mit weißen Handschuhen. Zudem wurden an den Gerüstankern nachträglich spezielle Sonderpaneele eingebaut, sodass der Gerüstabbau parallel zu dem Entfernen der Folie und der Montage eben dieser Passstücke erfolgte. Und hier schließt sich der Kreis…

… zur Erinnerung:

Heinz und Remo Wyss stehen vor „ihrer“ riesigen Spiegelfassade und verfolgen den Abbau des Fassadengerüstes. Für Außenstehende mag diese Szene nicht ungewöhnlich erscheinen. Für die beiden Spenglermeister, die jede Paneelposition und jede Scharlänge kennen, war dieser Augenblick wie ein Spenglermärchen oder wie ein sich erfüllender Traum. Nur wenige Monate später erhielten sie für ihre außergewöhnliche Leistung die „Goldene Spenglerarbeit 2011“ – den derzeit glanzvollsten Preis der Branche.

AUTOR: remo wyss

BAUTAFEL

Kongresssaal Interlaken

Fachbetrieb und Preisträger: Ramseyer und Dilger AG, Bern

Ausführungs- und Planungspartner: Ediltecnica AG, ­Urtenen-Schönbühl

Architektur: Planergemeinschaft Ibex, Dorenbach AG Architekten ETH/SIA, Kunz und Mösch GmbH Architekten ETH SIA, Basel

Generalunternehmer: HRS Real Estate AG, Bern

Bauherr: Casino Kursaal Interlaken AG

Dach: Wärmegedämmtes, belüftetes Doppelfalzdach aus mattem 0,5- bis 0,7-mm-Edelstahl (Roofinox Pearl – Menge: 19 t)

Fassade: Vorgehängte, hinterlüftete Paneelfassade aus hochglänzendem 1,0-mm-Edelstahl (Ugibright – Menge: 34 t)

INFO

Dachaufbau

  • Stehfalzdach Roofinox Pearl 0,5 mm Scharenlänge bis zu 44 m
  • Trennlage
  • Holzschalung 27 mm
  • Konterlattung 60/80 mm
  • Lüftungsebene
  • Fugenloses Unterdach
  • Wärmedämmung Steinwolle 200 mm
  • Dach-Unterschalung 27 mm
  • Ausgleichslattung 60/80 bis 60/120 mm
  • Wärmedämmung Glaswolle 80 bis 160 mm
  • Dampfbremse als Bauzeit-Abdichtung
  • Ortbeton sowie Profilbleche auf Stahlträger im Gefälle 4° bis 12°
  • Fläche 2400 m²

Kommentare der Jury

„kulissenhaft, theatralisch, raffiniert...

Für die Architekten war die Ausgangslage nicht einfach. Mitten in einem großen Park und direkt neben dem traditionsreichen Casino und weiteren Architekturjuwelen entstand ein beachtliches Kongresshaus. Ein Monolith, den man trotz seiner enormen Masse nur dezent und harmonisch integriert wahrnimmt. Die Architekten haben für die Fassade einen Werkstoff und ein Profil mit starker Spiegelung gewählt. Wandelbarkeit im Ausdruck und perfekte Wiedergabe der Umgebung sind dabei Programm. Das ist absolut faszinierend und hat zur Folge, dass sich ein kaltes Material wie Chromstahl „ent-Material-isiert“. In der Fassade erstrahlen der Park, die Bäume, der Himmel, die historischen Gebäude…

… einfach, aber absolut genial!“

INFO

Fassadenaufbau

  • Vertikale Aluminium-Distanzkonstruktion aus individuell angefertigten Profilen und Avanti GFK-Konsolen, kraftschlüssige Befestigung mit Bolzenanker auf Beton
  • Wärmedämmung 200 mm
  • Horizontal verlaufende, individuell angefertigte Aluminium-Profile
  • Edelstahlpaneele 1 mm, Baubreite ca. 30 cm, Material Ugibright, foliengeschützt
  • Fläche von 2200 m²

Autor

Remo Wyss

ist Spenglermeister und stellvertretender ­Geschäftsführer der Ramseyer und Dilger AG in Bern

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