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Sex sells!

Wie heißt es so schön: Klempner und Modedesigner sind die einzigen Berufe, die dreidimensionales Denken perfekt beherrschen. Jon Harris aus dem englischen Witney (bei Oxford) ist der lebende Beweis dafür. Doch der Reihe nach. Der Handwerker gestaltet Korsetts aus Kupfer, die seit 2014 auf den Laufstegen in Oxford und London bewundert werden. Die Kunstwerke besitzen nicht nur einen hohen Wiedererkennungswert, sondern sind auch eine absolute Seltenheit.

Wunderbare Ideen

Die Korsetts kombinieren auf inspirierende Weise Handwerk und Modebranche miteinander. Weil der Designer die Techniken der Metallbearbeitung perfekt beherrscht, konstruiert er alle Korsagen selbst. Durchdachte Lösungen verwandeln den stabilen Werkstoff in tragbare Kleidungsstücke. Per Scharnier auf der Vorderseite lassen sich die Korsetthälften aufklappen und schließen. „Die ursprüngliche Idee des Scharniers habe ich bei späteren Designs noch verbessert“, erklärt Jon Harris. „Ich verwende das gleiche Prinzip, aber die Scharniernadel ist entfernbar, um ein schnelles Anprobieren der Korsetts zu ermöglichen. Jetzt dauert es etwa zehn Sekunden, bis sie passen.“

Als echte Meisterleistung erweist sich die Abstimmung der starren Metallsegmente mit der Lebendigkeit des menschlichen Körpers. Um Bewegungsfreiheit und Spielraum zum Atmen zu ermöglichen sowie die Konfektionsgröße flexibel zu halten, lassen sich die Korsagen am Rücken schnüren. Dazu hat der Designer Löcher ins Kupfer gearbeitet und edle Metallknöpfe auf der Oberfläche befestigt. Die dunklen Schnürbänder setzen einen intensiven Farbkontrast zum Glanz des Metalls. Einige Korsetts sind außerdem mit farbigen Schleifen dekoriert. Weil sich menschliche Körper durch viele geschwungene Oberflächen auszeichnen, gestaltete der Designer attraktiv gewölbte Segmente. Ausladend barocke Rundungen sind ebenso zu sehen wie spitz zulaufende Linien oder streifenförmige Bügel. Großartige Decolletés krönen die Werke. Viele provozieren die Fantasie. Andere sind bis zum Hals geschlossen und bedecken die Schultern. Keine Korsage gleicht einer anderen – alle sind Unikate.

Handarbeit mit alten Methoden

Jedes Korsett entsteht in Einzelanfertigung, die zwischen 60 und 100 Stunden in Anspruch nimmt. Der Künstler gestaltet sie auf Maß, das er bei einem Model nimmt. Bis zu 100 verschiedene Segmente fertigt Jon Harris an, nachdem er das rohe Material zunächst aus alten Wassertanks herausgeschnitten hat. „Ich verwende Methoden nach altem Stil und Werkzeuge, die auf einer Werkbank montiert sind, um die Formen zu gestalten,“ verrät Jon Harris. Durch Schweißen, Löten und Hartlöten verbindet der Metallkünstler die Elemente für Taille, Hüfte und Decolleté miteinander. Ein Plastik-Torso dient dazu, eine erste Korsetthälfte zusammenzusetzen. Passend dazu entsteht anschließend der zweite, spiegelbildliche Teil. Gefalzte Kanten akzentuieren einige Linien zusätzlich. Die anfangs stumpfe Oberfläche des Metalls poliert und lackiert der Fachmann, sodass der auffällige Glanz-Effekt gut zur Geltung kommt.

Im Smoking am Catwalk

Die Korsetts waren erstmals auf der Oxford-Modewoche im Herbst 2014 zu sehen. Auf dieser glamourösen, hochkarätigen Veranstaltung, zu der die exklusiv geladenen Gäste in festlicher Abendgarderobe erschienen, konnte sich der Designer von der Wirkung seiner Kreationen überzeugen. Models präsentierten die Korsagen während einer Show für Damenunterwäsche, wo sie Wellen der Begeisterung entfachten. Kombiniert mit Dessous und hautengen Kleidern wirkt das Metall unheimlich aufregend. Der Stoff ist mondän und schick, geeignet für attraktive Mädchen und Frauen, die darin noch eleganter aussehen. Mit dem Korsett steht eine Dame im Mittelpunkt, sodass sie eine gute Portion Selbstbewusstsein braucht. Nach dieser Resonanz begann Harris, eine Kollektion zu entwerfen, die im Frühjahr 2015 auf der Modewoche in Oxford zu sehen war. Im Herbst 2015 zeigte Harris alle zehn Korsetts auf der Modewoche in London, was einen enormen Erfolg bedeutete. Denn auf den Laufstegen der englischen Hauptstadt präsentieren die bekanntesten Models die neuste, angesagte Mode der weltweit besten Designer. Als nächstes Ziel hofft der Künstler, dass seine Arbeiten in Galerien und Ausstellungen gezeigt werden.

Eigene Mode-Marke

Für seine Mode gründete der Designer das eigene Label „Fabricated Fashions“. In England erlangte der Handwerker bereits große Popularität und wird im Internet, von Zeitungen und den sozialen Medien gefeiert. Im Stil der Korsetts gestaltete der Künstler interessante Accessoires. Eine Maske und ein Halskorsett wirken, als wären sie direkt für die großen Opern- und Musical-Bühnen entworfen. Bei einem Paar Schuhe kreierte der Handwerker unglaublich extravaganten Schmuck aus wellenförmig geschwungenen Kupferstreifen. Zum Sortiment gehört auch eine unverwechselbare Halskette. Die Accessoires und Korsagen passen zu einmaligen Anlässen, zu Bühnen-Premieren und kulturellen Veranstaltungen, auch jenseits des Laufstegs.

Vom Mini zur Formel 1

Die Karriere des 48-Jährigen klingt so erstaunlich, wie seine Kunstwerke aussehen. Gelernt hat der Handwerker beim Fahrzeughersteller Mini, der früher zum Autokonzern Rover gehörte. Anschließend arbeitete er bis 2005 in der Formel 1 für die Rennställe Benneton und Renault, wo er Metall für Karosserien und Motorhauben formte. Dieser Arbeitsplatz, an dem das höchste Tempo zählt und Adrenalin durchs Blut schießt, bildete die Grundlage für den Erfolg auf der Überholspur. Tagsüber baut, repariert und installiert das handwerkliche Ausnahmetalent Tanks für Heißwasser in Küchen und Bädern, außerdem Tanks für Motorräder und Autos. Wenn die Scheinwerfer über den Laufstegen aufleuchten, erobert Jon Harris die Modebranche mit tragbarer Kunst aus Kupfer – wie gesagt: Sex sells!

www.fabricatedfashions.co.uk

www.oxfordfashionweek.com

www.londonfashionweek.co.uk

Autor

HENRY Rasch

ist Inhaber des Verlags Illustrierte Welten & Informationen in Berlin.

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