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Kupferblitz

Der Kupferblitz
Von Beat Scherrer, Scherrer Metec AG

Eine Trafostation wandelt die 20 000 Volt Mittelspannung der kantonalen Stromversorgung in Haushaltsstrom mit 400/220 V Niederspannung und speist ihn in das Netz der Gemeinde. Weil sich niederspanniger Haushaltsstrom nur über kurze Entfernungen verlustfrei transportieren lässt, stehen die Trafostationen möglichst nah bei den Verbrauchern. Je nach Grösse versorgt eine Trafostation mehrere tausend Haushalte und ist damit etwa zur Hälfte ausgelastet. Die freie Hälfte bleibt in Bereitschaft, um bei Bedarfsspitzen oder dem Ausfall einer anderen Trafostation einzuspringen. Zu diesem Zweck sind in der Gemeinde Zollikon alle Trafostationen über eine Ringleitung miteinander verbunden und stellen die kontinuierliche Stromversorgung sicher.

In früheren Zeiten, als der elektrische Strom noch technischen Fortschritt verhiess, formte man Trafostationen zu Turmhäuschen, neostilistischen Minikraftwerken oder anderen architektonischen Niedlichkeiten. Heute ist Strom allgegenwärtig, Trafostationen sind dementsprechend banalisiert, ein notwendiges Übel. Sie sehen aus wie Fertiggaragen oder Industrie-Container, sind meist auffallend unauffällig deplatziert oder durch Friedhofsbegrünung kaschiert. Die Architektur einer Trafostation reisst selten jemanden vom Hocker, wohl auch nicht den Architekten, der eine solche entwerfen soll. Aber es gibt Ausnahmen, wie die „TS Gstad“ in Zollikon/ZH.
Ihr Bau wurde nötig, weil die Gemeinde für die grössere Versorgungssicherheit eine zweite Einspeisung in das Ortsnetz wollte und die bestehende Trafostation ihre Kapazitätsgrenze erreicht hatte. Statt für die Erweiterung entschied man sich für einen Neubau. In einer Konzeptphase wurden die Möglichkeiten des Hanggrundstücks ausgelotet.
Daraus entwickelten die Architekten eine teilverdeckte Bauweise, bei der die eigentliche Trafostation im Hang verschwindet. Zur Strasse sichtbar bleibt nur die Front. Sie wirkt wie ein Einschnitt ins Gelände, geht in eine seitliche Stützmauer über und integriert sich in die zentrale Lage. Die besondere architektonische Hochspannung erhält das Projekt durch seinen Grundriss, der Fassade und Stützmauer in Form eines Blitzes vereint. Auch die Vertikale lässt sich als Blitz interpretieren. Das Gebäude kommt aus dem Hang hervor, ragt zu vier Metern Höhe auf, faltet sich in den Hang zurück und verschwindet als abflachende Stützmauer wieder im Erdboden. Damit setzt es Akzente ohne jegliche Bunkermentalität anderer unterirdischer Bauten.

 

© Scherrer Metec AG


Mit ihrem innovativen architektonischen Entwurf erfüllt die Trafostation gleich mehrere Anforderungen: Die teilweise unterirdische Bauweise bietet freie Sicht vom angrenzenden Villenviertel auf den See. Der blitzförmige Grundriss der Fassade geht nahtlos vom Zugang zur Trafostation über in eine angrenzende Stützmauer. Der Einschnitt ist eine Zufahrt für Lastwagen, die technische Aggegate liefern. Weil sich Strom und Wasser nicht besonders gut vertragen, wurde das Mauerwerk besonders stark ausgelegt. Eine tief in dem Hang verankerte Stützmauer schützt das Gebäude vor Bergdruck und Hangwasser, ebenso die extradicke Bodenplatte aus Beton. Neben dem Hauptraum für Trafo, Mittelspannungsschaltstation und Niederspannungsverteilern gibt es je einen Nebenraum für Einspeisung und Belüftung. Frontseitig ermöglichen grosse Türen den Austausch der Aggregate sowie den Zugang zu den Wartungsräumen.
Sub: Alles Sichtbare ist Kupfer
Copy: In einer durchschnittlichen Gemeinde hätte es wahrscheinlich auch Sichtbeton getan, nicht aber in Küsnacht, schon gar nicht an so zentraler Lage. Die Gemeinde am Zürichsee legt grossen Wert auf eine nachhaltige und ästhetisch ansprechende Bauweise – eben auch für eine Trafostation. Alle sichtbaren Teile sind mit Kupfer verkleidet, und das, obwohl sich der Kupferpreis auf dem Weltmarkt in den letzten Jahren verdreifachte. Kupfer ist für eine Trafostation ein naheliegender Werkstoff, weil er als Stromleiter und Blitzableiter eine wichtige Rolle spielt. Ebenso im Bau: Kupfer kann Jahrhunderte überdauern und braucht keine Pflege. Seine natürliche Patina verbindet es mit dem Umfeld. Die 1,5 mm starken Kupferbahnen leisten hinreichenden Widerstand bei Vandalismus. Sie wurden senkrecht in schuppenartigen Bahnen verarbeitet. Lüftungsöffnungen und Türen sind perfekt in diesen Raster integriert.
Sub: Mit dem Standort wechselt die Perspektive
Copy: Je nach Standpunkt des Betrachters erzeugen die Winkel und Schrägen spannungsreiche Perspektiven. Blickt man von der oberen Strasse oder dem Wartehäuschen der Bushaltestelle auf die Trafostation, ist nur der blitzförmige Dachkranz zu sehen, der auf dem abfallenden Hang liegt. Bei seitlicher Annäherung wächst die Westfassade aus dem Hang, und von vorn bildet der Einschnitt Zugang zum Inneren.
Der Dachkranz bildet als eigens ausgeformter Körper den Abschluss von Front und Stützmauer. Dank der konisch zulaufenden Formen wirkt er tatsächlich wie ein liegender Blitz.
Insgesamt ist die Trafostation Gstad ein eindrucksvoller Beweis, dass auch ganz banale Zweckbauten das Potenzial für anspruchsvolle Architektur und gelungenes Handwerk bieten, sofern Bauherrschaft, Architekt und Handwerker die gleiche Sprache sprechen.

Projekt:
Trafostation Gstad, Zollikon

Bauherrschaft:
Gemeinde Zollikon, Werkabteilung

Architekten:
Drexler Guinand Jauslin AG, Zürich

Bauspenglerei, Fassadenbau;
Scherrer Metec AG, Zürich

Copyright-Hinweis:
Abbildungen 1-11:
huberlendorff Fotografie, Zürich;

Illustrationen:
Drexler Giunand Jauslin Architekten, Zürich

© Scherrer Metec AG

Wie ein kupferner Blitz in der Wiese präsentiert sich der Dachabschluss der Trafostation Gstad in Zollikon/ZH. Der in den Hang verlegte Bau hält den Blick auf den See frei. Der rote Pfeil zeigt die Blickrichtung des Fotografen.
Ein Hanggrundstück umgeben von Gstad-, Dufour- und Bahnhofstrasse, dazu eine Bushaltestelle, Baumbestand und Seesicht – ein anspruchsvoller Standort für eine Trafostation.

 

 

 

© Scherrer Metec AG

Die Schnitte: Die Seitenschnitte zeigen, wie sich das Gebäude in den Hang schiebt und die Fassade nur zur Strassenseite freigibt. Aus jeder Blickrichtung entsteht ein anderes Bild der Trafostation.

 

 

© Scherrer Metec AG
Was aussen so spektakulär wirkt, kann sich auch innen sehen lassen: Die roten Schränke gehören zur Schaltanlage der 20 000 Volt-Leitung, die vom Regionalnetz eingespeist wird. Nicht zu sehen, die beiden Transformatoren, die diese Mittelspannung auf die im Ortnetz verwendeten 400/220 Volt transformieren. Davon dient ein Trafo als Redundanz, falls andernorts ein Trafo ausfällt. Die blauen Schränke verteilen den Haushaltsstrom zu den Verteilerkabinen im Ortsnetz, die ihrerseits mit den Haushalten verkabelt sind.

© Scherrer Metec AG
Detailaufnahmen mit den in die Schuppenfassade integrierten Türen und Lüftungsöffnungen.