Beton scheint im Reich der Mitte der Baustoff der Wahl zu sein. Bahntrassen auf Stelzen, Hochstraßen und noch mehr Hochhäuser recken eisenbewehrten Beton in den chinesischen Himmel und buhlen dabei um Superlative. Das höchste Gebäude. Die höchste Brücke. Der größte Staudamm. Die flächenmäßig größte Stadt der Welt. Ganze 32 Millionen Einwohner leben zum Beispiel in Chongqing – einer Stadt, deren rund 82 400 km² Fläche ungefähr so groß ist wie Österreich. Und immer wieder ist es der Baustoff Beton, ohne den genannte Architekturrekorde undenkbar wären.
Ob es für Liebhaber moderner Baumetalle dennoch viel zu entdecken gibt? Durchaus! Die kupfernen Laternen oder die von Kupferbecher zu Kupferbecher kaskadierenden Entwässerungsleitungen buddhistischer Tempeldächer zum Beispiel. Die filigran gearbeiteten Konstruktionen sind nicht nur schön anzusehen, sondern zugleich auch Klangschalen-Ensembles, die von chinesischen Regenfällen zuverlässig in harmonische Schwingung versetzt werden. Überall dort, wo Niederschlagswasser möglichst zweckmäßig abgeleitet werden muss, gewinnen die eingesetzten Rohrleitungen jedoch keine Architekturpreise. Stattdessen zählen Eigenschaften wie Stabilität und Unauffälligkeit zu den bewährten Stilmitteln.
Ganz anders verhält es sich auf klassischen Ziegeldächern, die den in Südeuropa verwendeten Mönch-und-Nonne-Hohlziegeln durchaus ähneln. Der wesentliche Unterschied chinesischer Dacheindeckungen wird an der Traufe sichtbar. Wunderschöne und mit chinesischen Symbolen verzierte Endziegel bilden den Traufabschluss. An den konvex gedeckten Oberziegeln (Mönch) befinden sich kreisrunde Endkappen. Die konkav geformten Unterdecker (Nonne) verfügen über dreiseitig geschwungene Abschlüsse.
An Dächern von Palästen, Tempeln und anderen wichtigen Gebäuden tragen die Endziegel filigran gearbeitete Reliefs. So sind Drachen in der chinesischen Kultur ein mächtiges Symbol für Stärke, Glück und kaiserliche Macht. Vereinzelt sind auch stilisierte Münzen, Götter, Tiger oder Elefanten zu entdecken.
Metalldach und Formate
Bekanntlich sind Dachhandwerker bestrebt, die Vorteile des Werkstoffs Metall bestmöglich zu nutzen. In Europa sowie in China werden daher funktionale Imitate klassischer Dachdeckungssysteme entwickelt und eingesetzt: Metall-Leistendeckungen im Mönch-und-Nonne-Look finden im Reich der Mitte ebenso Verwendung wie in Ziegelform geprägte Blechdachplatten. In der Gruppe selbsttragender Systeme werden an kleinen Gebäuden Well- und Trapezprofile verarbeitet. Die Dachdeckungen riesiger Stadien, Flughafengebäude oder Bahnhofshallen wären ohne Profilfalztechnik undenkbar. Ein Beispiel ist der Nordbahnhof von Xi’an. Der 2016 fertiggestellte Bahnhof ist einer der größten Asiens. Unterschiedlichen Quellen zufolge beträgt die bebaute Fläche 550 000 bis 666 000 m². In der 330 000 m² großen Wartehalle werden 83 Mio. Passagiere im Jahr bzw. bis zu 40 000 pro Tag abgefertigt.
Wer sich in der riesigen Wartehalle umsieht, kommt nicht umhin, aus dem Kybalion zu zitieren. Das 1908 veröffentlichte, unter Esoterikern und Okkultisten populäre Buch beschreibt sieben hermetische Prinzipien. Eines davon lautet: „Wie oben, so unten; wie innen, so außen; wie der Geist, so der Körper.“ Diese dem Universum bzw. dem Mikrokosmos zugeschriebenen Verhältnisse sind durchaus auch auf das Bahnhofsgebäude übertragbar, denn die architektonische Magie des riesigen Metalldachs wird im Inneren konsequent fortgeführt.
Unter der leicht geschwungenen Sheddach-Konstruktion sind
filigrane Akustikdeckenprofile aus Metall abgehängt. Mit etwas Fantasie betrachtet, entstehen durch den Wechsel von geradlinigen Strukturen, perforierten Paneelen und riesigen Oberlichten beeindruckende Autostereogramme.
Technologie im altertümlichen China
Schon der erste Kaiser von China hatte ein ausgeprägtes Faible für Hochtechnologie. So ließ er nicht nur zahlreiche Befestigungsanlagen, Stadtmauern und Paläste errichten, sondern auch eine mehrere Quadratkilometer große Grabanlage samt vorgelagerter Terrakottaarmee. Die zum Bau der riesigen Anlage erforderlichen Schachtkonstruktionen bestehen aus gestampfter Erde und sind auch über 2000 Jahre später hart wie Beton. Zur Qualitätskontrolle diente ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles Mittel: Gelang es dem bauleitenden Beamten, einen spitzen Prüfdorn wenige Millimeter in den verdichteten Wall zu stecken, drohten den Arbeitern (s. Skulptur, Bild 5, oben r.) durchaus harte Strafen.
Neben Ton und Lehm wussten damalige Baumeister auch mit Metall umzugehen. Ausgrabungen von Wagengespannen samt Kutschern und Pferdefiguren aus Bronze und Kupfer belegen die fortschrittliche Entwicklung im altertümlichen China. Die detailliert gearbeiteten Gespanne weisen zahlreiche Scharniere, Steck- und Lötstellen auf, die auch nach 2000 Jahren erstaunlich gut erhalten sind. Doch damit nicht genug: Die mehr als 7000 lebensgroßen Tonfiguren waren mit echten Schwertern, Pfeilspitzen und Armbrüsten aus Bronze und anderen Legierungen bewaffnet. Bemerkenswert ist außerdem, dass alle Tonfiguren individuell gestaltet sind und sich in Körperhaltung, Mimik und Ausstattungsdetails voneinander unterscheiden.
Technologische Herausforderung heute
Die Dichte moderner Architektur ist in China auffallend hoch. So führt zum Beispiel im bergigen Chongqing ein Teilabschnitt der Einrad-Stadtbahn der Länge nach mitten durch ein Hochhaus hindurch. Aber es kommt noch besser: Im besagten Gebäude befindet sich neben zahlreichen Wohnungen auch eine stark frequentierte Haltestelle. Weitere architektonische Besonderheiten sind die immer wieder zu entdeckenden, riesigen Gebäudeausschnitte, die in der Nähe lebenden Fabeldrachen freie Flugbahn ermöglichen sollen. Ihren Ursprung haben solche Drachentore im chinesischen Feng-Shui-Prinzip – also der Lehre, Gebäude und Objekte harmonisch und im Einklang mit
spirituellen Kräften und der Natur anzuordnen.
Mindestens ebenso beeindruckend sind gläserne Brücken, die in schwindelerregenden Höhen benachbarte Gebäude miteinander verbinden, oder in rasender Geschwindigkeit gen Himmel fahrende Aufzüge. Speziell für Klempner dürften die repräsentativen Wolkenkratzer in Metropolen wie Shanghai, Chongqing oder Peking von Interesse sein. Ihre geschwungenen Glasfassaden oder gedrehten Teilflächen erinnern immer wieder an die Formgebung gedreht segmentierter Meisterstücke wie Rinnenkessel oder Stehtische.
Nebenbei bemerkt gelten chinesische Gebäude bis zu 30 Stockwerken lediglich als Mehrfamilienhaus – nicht alle davon sind mit einem Fahrstuhl ausgestattet. Für viele Chinesen ist das normal, denn bei durchschnittlichen Wohnflächen zwischen 65 und 120 m² sowie acht bis zehn Wohnungen pro Etage leben „nur“ ca. 1000 Personen in einem entsprechenden Block.
E-Mobilität, PV und Wasserkraft
Neben Bau und Instandhaltung entsprechender Wohneinheiten besteht eine weitere Herausforderung darin, die Infrastruktur für Energie, Frisch- und Abwassersysteme bereitzustellen. Erschwerend kommt hinzu, dass landesweit Abermillionen Elektroroller und Elektroautos aufgeladen werden müssen. Zwar ist die Ladeinfrastruktur in den Großstädten nahezu flächendeckend vorhanden – öffentliche Ladestationen sind jedoch vergleichsweise selten. Beim Blick auf die Dächer chinesischer Vorstädte bzw. Dörfer fällt außerdem auf, dass es deutlich weniger PV-Anlagen gibt als auf deutschen Dächern. Ein Großteil der erforderlichen Energie wird noch immer in Atom- und Kohlekraftwerken gewonnen und: im größten Wasserkraftwerk der Welt. Die fast 2500 m lange und 180 m hohe Staumauer des umstrittenen Projekts ist am Sockel 115 und an der Krone rund 40 m dick. Die massive Gewichtsstaumauer aus Beton staut das Wasser des Yangtze mehr als 600 km weit flussaufwärts: wieder ein Rekord! Wissenswert ist außerdem, dass durch den Bau des Staudamms 13 Städte, 1350 Dörfer und 657 Fabriken überflutet und ca. 1,3 Millionen Menschen umgesiedelt wurden.
Die Maurer machen Pause
Nicht jeder Chinese ist in der Lage, sich den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen. Wer das nötige Kapital gespart oder einen Kredit bei der Bank erhalten hat, zählt (oder besser gesagt zählte) zu den Gewinnern. Die jüngste Immobilienkrise und damit verbundene Insolvenzen haben jedoch auch dazu geführt, dass überall im Land Hochhaus-Bauruinen stehen. Schlimmer noch: Viele Chineinnen und Chinesen haben massive Vermögensverluste erlitten und leben weiterhin in beengten Verhältnissen.
Dort, wo in den letzten Jahren Neubauten fertiggestellt wurden, lohnt sich ein genauer Blick auf Baudetails wie Fugen, Fenstersimse, Rinnen, Geländer oder Bodenabläufe. Nicht immer entspricht die Bausubstanz den Erwartungen an moderne Architektur. Zum Beispiel dann, wenn Gitterroste, Abdeckungen oder Geländer aus Edelstahl an den Schweißstellen in kurzer Zeit korrodieren. Außerdem nagt Rost an zahlreichen Stahlträgern oder dringt durch feine Risse in gerade einmal fünf Jahre jungen Betonkonstruktionen. Sogar in gehobenen Hotels werden dort, wo es nicht passt, Fliesen, Waschbecken und andere Bauelemente mit zweifingerdicken Silikonfugen passend gemacht.
Dachhandwerk mit Tradition
Genauso wie hierzulande arbeiten die Gewerke der Zimmerer, Dachdecker und Metallhandwerker Chinas Hand in Hand. Besonders beeindruckend ist die Anordnung von Balken, Pfetten und Streben traditioneller Gebäude. Sie folgen einem tief in der chinesischen Mythologie verwurzelten Schema, wobei nicht nur die Anzahl der Balkenlagen, sondern auch ihr Verhältnis zueinander und ihre geometrische Anordnung strenge Gesetzmäßigkeiten erfüllen.
Dachform und Symbolik sind in der traditionellen chinesischen Architektur von zentraler Bedeutung und untrennbar mit der Kultur, Mythologie und dem sozialen Rang verbunden. Die Dächer sind oft das dominanteste Element traditioneller Gebäude und werden durch geschwungene, überkragende Traufen (Upturned Eaves) charakterisiert. Die aufwärts gebogenen Dachenden verleihen den Gebäuden Eleganz und bilden eine Parallele zur Pinselführung chinesischer Kalligrafie. Darüber hinaus begünstigen sie die effiziente Regenwasserableitung und lassen mehr Tageslicht ins Gebäudeinnere.
Im Gegensatz zur oft himmelwärts strebenden westlichen Architektur betonen chinesische Bauten horizontale Linien. Weit überkragende Dächer tragen wesentlich zu diesem Eindruck bei. Eine Ausnahme stellen die mehrstufigen Pagodendächer dar. Die ästhetischen Dachkonstruktionen symbolisieren (ähnlich wie die Kirchtürme hierzulande) den Aufstieg zum Himmel.
Eine weitere Besonderheit der in China weitverbreiteten, eingeschwungenen Walmdächer sind kunstvolle Verzierungen und dazu passender Dachschmuck. Zum Beispiel wird das untere Gratbalkenende oft mit einer geschnitzten Drachenfigur verziert. Auf dem darüberliegenden Gratziegel befindet sich oft die aus Ton gefertigte Figur eines berittenen Phönix. Je nach Bedeutung des Bauwerks (und/oder nach Vorlieben der Bauherrschaft) folgen weitere Figuren:
Besonders interessant ist die Aufgabe des geflügelten Affen Hángshí. Das Fabelwesen ist für den Blitzschutz verantwortlich und vielleicht auch dafür, die Blitzschutzleitungen respektvoll und mit kunstvollem Schwung um genannte Figuren zu führen. Die Blitzableiter erinnern dabei an filigrane, Dachfirste und Grate einfassende Bilderrahmen.
Bild: BAUMETALL
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Landeskenner und Reiseleiter
Herzlichen Dank an Reiseleiter Jianjun „Johannes“ Yuan. Dank seiner langjährigen Erfahrung konnte er zahlreiche Fragen beantworten und so maßgeblich zum Gelingen dieses Artikels beitragen. Besondere Erwähnung verdienen seine Beschreibungen der Dachreiter und Schutzwesen, die dem Schutz und der Abwehr von Unheil dienen. Weitere Informationen zu den an Dachfirsten und Graten angebrachten Symbolfiguren enthält das Online -Extra zu diesem Artikel.
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