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Auf, davon und wieder zurück

Irgendwie trieb mich schon immer die Neugierde an, und als ich auf der Schweinfurter Spenglermeisterschule dieses Inserat an einer Pinnwand las, war mir klar: „Da gehst du hin!“. Im Kollegenforum https://www.baumetall.de hatte ich bereits Vieles über das Klempnerleben im Ausland gelesen und wusste von der Möglichkeit, ein Working Holiday Visum für Australien zu beantragen. Solch ein Visum ermöglicht den Aufenthalt für ein Jahr und das Arbeiten von bis zu sechs Monaten je Arbeitgeber – perfekt! Auf einen kurzen E-Mail-Austausch mit meinem zukünftigen australischen Arbeitgeber, der Architectural Roofing and Wall Cladding company (ARC) in Sydney, folgte ein Telefonat. Wenige Tage später hatte ich das Visum sowie ein Flugticket nach Sydney in der Tasche. Überhaupt ging alles sehr schnell und leider ebenso schnell wieder vorbei…

Wow-Effekt in Woy Woy

Kaum in Sydney angekommen, hatte ich das Betriebsgebäude besichtigt, ein Bankkonto eröffnet und die ersten beiden Einarbeitungstage in der beeindruckenden Klempnerwerkstatt hinter mich gebracht. Abermals musste ich die Koffer packen. Dieses Mal um gemeinsam mit den neuen Kollegen ins 120 km entfernte Woy Woy aufzubrechen, wo mich mein erster Baustelleneinsatz erwartete. Die Aufgabe: Ein Kirchenneubau sollte mit walzblankem Titanzink im Winkelfalzsystem bekleidet werden. Ganz Normal könnte man meinen – doch als ich die kreisrunde Stahlskelett-Konstruktion des Neubaus erblickte und erfuhr, dass die Montage nahezu ausschließlich mittels Hebebühnen erfolgen sollte, war mir klar: Australische Klempnertechnik funktioniert ähnlich wie in Deutschland und ist dennoch absolut unvergleichlich. Zwar waren mir Unterkonstruktionen aus Trapezprofilen nicht unbekannt, doch in diesen Ausmaßen und noch dazu gerundet hatte ich derartige Tragschalen bislang nicht gesehen.

Auch sonst musste ich mich zunächst mit verschiedenen australischen Gepflogenheiten vertraut machen. Beeindruckt war ich beispielsweise von der perfekten Großbaustellenorganisation. Von vorbildlicher Baustellenhygiene über ein straffes (vielleicht etwas übertriebenes) Sicherheitsmanagement bis hin zu den Sonnencreme-Spendern für das Baustellenpersonal wurde an alles gedacht. Heute weiß ich: Wer das Tragen leuchtender Warnwesten und Helme akzeptiert und sich außerdem damit abfindet, dass Bauphysik in Australien anscheinend gar nicht oder völlig anders als Zuhause interpretiert wird, für den ist eine Karriere in Down Under so gut wie vorprogrammiert. Nichtsdestotrotz haben verantwortungsvolle und fachregeltreue Klempner mit so manchem australischen Baudetail ihre Schwierigkeiten, aber das ist eine andere Geschichte…

Fast wie Zuhause?

Ob es in Australien Dinge gibt, die im Einklang mit dem deutschen Klempnerdasein stehen? Auf jeden Fall, beispielsweise die Ausrüstung. Offensichtlich hat sich die Qualität unserer Blechscheren, Deckzangen und Belchbearbeitungsmaschinen weit herumgesprochen, denn fast jedes Ausrüstungsteil bei ACR stammt aus dem deutschsprachigen Europa. Dagegen ist das Lohnsystem absolut typisch für Australien. Der Wochenlohn wird mitsamt allen Überstundenzuschlägen stets pünktlich ausbezahlt. Arbeitszeitkonten existieren nicht, denn die Überstunden könnten ohnehin niemals abgefeiert werden.

Beim international aufgestellten ACR-Team sind mittlerweile über 15 Bauklempner und knapp 10 Werkstattspezialisten aus aller Herren Länder beschäftigt. Das Personal stammt beispielsweise aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Kroatien oder von den Philippinen. Manch einer des ACR-Teams, etwa Bodo Hinz vom Bodensee, genießt in der weltweiten Klempnerszene inzwischen so etwas wie Kultstatus – BAUMETALL macht’s möglich. Wer erinnert sich nicht an die Reportagen über die Tecu-Gold-Fassade an der Goldcoast oder das geschwungene Rheinzinkdach auf Fidschi – beides Projekte die Bodo Hinz abgewickelt hatte.

Im kalten Wasser schwimmen lernen

Überhaupt wird bei ARC Verantwortung schnell und uneingeschränkt übertragen. Daher war auch ich nach wenigen Tagen für meine eigenen Projekte verantwortlich. Voraussetzung war allerdings die Anschaffung eines eigenen Autos, denn Firmenfahrzeuge oder gar Kleintransporter für Material und Personal gab es nicht. Außerdem lief die Baustellenorganisation anders ab als in Deutschland. Auf den Baustellen musste ich eigenverantwortlich Skizzen erstellen, entsprechende Maße eintragen und diese Profil-Bestellungen per Fax an das Werkstattteam in Sydney übermitteln. Glücklicherweise ist die technische Klempnersprache weltweit verständlich und bei Unklarheiten half das Telefon weiter. Um unnötige Leerlaufzeiten zu verhindern arbeitete das Werkstatt-Team sogar bis in den Abend hinein. Somit trafen die bestellten Profile und Scharen in den meisten Fällen bereits am folgenden Tag per LKW auf der Baustelle ein.

Wochenendhäuschen

In ganz besonderer Erinnerung habe ich eine Bauaufgabe im 150 km südlich von Sydney gelegenen Kiama behalten. Dort sollte unter Anderem das etwa 600 m2 große Dach eines Wochenendhauses mit Titanzink eingedeckt werden. Die atemberaubende Aussicht vom Titanzinkdach des Bungalows war ebenso perfekt wie die Arbeit selbst, und so hätte ich während der Montage der Stehfalzscharen am liebsten die Zeit vergessen. Nie zuvor erlebte ich eine solche Arbeitsatmosphäre und vielleicht glückten gerade deshalb die Kassetten, Paneele und Gesimsbekleidungen so tadellos. Auch die Untersichtbekleidungen und weitere spannende Details an der Dacheindeckung schienen förmlich darauf zu warten, von Klempnertechnik zu profitieren.

Überhaupt zeigt das Wochenendhaus in Kiama beispielhaft, wie und wo europäische Klempnertechnik in Australien angewandt wird. Vor allem exklusive Architekturdesigns gewinnen durch Klempnertechnik. Die bekanntlich filigranen Gestaltungsmöglichkeiten tragen somit maßgeblich dazu bei, dass sich Klempnertechnik auch in Down Under immer weiter verbreitet.

Lebe Deinen Traum

Während meines Australienaufenthaltes, aber vor allem durch die Arbeit in Kiama wurde mir klar: Klempnerträume müssen ge- und vor allem erlebt werden. Mein Tipp kann daher nur lauten: „Auf geht’s, und zwar dann, wenn die Zeit reif ist.“ Und wer weiß – vielleicht verbringe ich irgendwann meine Wochenenden in einem ähnlichen Wochenendhäuschen in ähnlicher Lage. Lust dazu hätte ich schon.

Norman Kahl

BAUTAFEL

In Australien erhalten vorwiegend exklusive Gebäude klempnertechnisch erstellte Bekleidungen.

Projekt: St John The Baptist Church, Woy Woy Newcastle

Fachbetrieb: Architectural Roofing and Wall Cladding (ARC)

Links

Weitere Informationen und Bilder im Baumetall-Extra unter: https://www.baumetall.de/

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