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Teil 2: Gaubenzauber von ­Notre-Dame

Dachgauben im gotischen Stil sind als architektonische Details ebenso funktional wie symbolträchtig. Französische Dachhandwerker nennen entsprechende und auf dem Dach der Kathedrale von Notre-Dame de Paris montierte Bauteile auch „les petits outeaux“. Ihr spitz zulaufendes Satteldach erinnert an betende, dem Himmel zugewandte Hände. Mit passgenauen Kehlen und exakt ausgearbeiteten Anschlüssen sowie der gotischen Gaubenfront vermittelt das hier beispielhaft vorgestellte Bleielement handwerkliches Können auf höchstem Niveau.

Die gotische Gaubenform, ihre Fertigung und ihre symbolische Kraft machen den Outeau darüber hinaus zu einem Meisterstück der historischen Baukunst – und zu einem Sinnbild für die Verbindung von Tradition und Erneuerung. Im Rahmen der BAUMETALL-Serie zum Wiederaufbau des Daches der Kathedrale Notre-Dame de Paris befasst sich dieser Beitragsteil mit der Projektierung und der Herstellung der technisch anspruchsvollen Bleigauben. Ein dazu passendes Video vermittelt ergänzend, wie die französischen Dachhandwerker die Gaubenfronten hergestellt haben.

Gefertigt wurden die Gauben ebenso wie die gesamte Dacheindeckung aus Sandguss-Blei – einem Material, das seit Jahrhunderten für Dächer historischer Gebäude verwendet wird. Über den Herstellungsprozess hat BAUMETALL ausführlich in Ausgabe 5/2025 berichtet. Ein Blick in das ergänzende und per QR-Code aufrufbare Online-Extra sowie das Aufrufen der dort verfügbaren Videolinks ist überaus empfehlenswert.

Blick in die Werkstatt

Die Herstellung der Gauben erfolgte in der unweit der Kathedrale temporär eingerichteten Werkstatt der Balas-Gruppe. „Jedes einzelne Bauelement unterlag dort einer strengen Einzelteilprüfung“, berichtet Nicolas Bossard. Laut Beschreibung des technischen Direktors und produktionsverantwortlichen Leiters der Werkstätten für Dachdeckerei und Kunsthandwerk wurden die Gauben in der Werkstatt als Komplettteil produziert und zur Montage auf dem Dach bestmöglich vorbereitet.

Dabei lag das Augenmerk besonders auf der gestalterischen sowie der technischen Ausführung. Das betraf in besonderem Maße das Design der aus einer einzigen Bleitafel gefertigten Gaubenfront. Geprägt von einer Spitzbogenöffnung, die sich deutlich an der Formensprache der Hochgotik orientiert, verlaufen die Linien einem eleganten Kielbogen folgend. Dessen Konturen verjüngen sich nach oben hin und laufen dort zu einer feinen Spitze aus. Die Form erinnert an klassische Lanzettfenster mittelalterlicher Kathedralen. Insgesamt verleiht die Silhouette der Gaube eine vertikale Spannung, die den Blick förmlich nach oben zieht und damit die himmelstrebende Ästhetik der Gotik aufgreift. Der Rahmen der Öffnung ist ornamental ausgearbeitet. Je nach Ausführung zeigt er profilierte Kanten, die in mehreren Ebenen zurückspringen und so Tiefe erzeugen.

Erstaunliche Detailtiefe

Den Handwerkern ist es gelungen, die formreduzierten Elemente so auszuarbeiten, dass die Proportionen der Gaube gewahrt bleiben und dennoch eine klare gestalterische Verbindung zur Kathedrale entsteht. Sie hielten sich dabei streng an die Vorgaben der Originalbauteile. Besonders bemerkenswert ist die handwerkliche Präzision, mit der die Bleistruktur gearbeitet wurde. Die Übergänge zwischen den Bleiplatten sind sauber gefalzt, die Nähte verlaufen exakt entlang der Konturen, und die Oberfläche zeigt jene charakteristische Körnung, die durch das Sandgussverfahren entsteht. Die Gaubenfront wirkt dadurch wie ein kleines Portal – nicht für Menschen, sondern für Licht und Luft. Zugleich wird ein Ausdruck der handwerklichen Würde vermittelt, mit der übrigens jedes Detail des Daches neu gedacht wurde. Ein besonders reizvolles Detail offenbart sich beim Blick in die Öffnung der kleineren Gauben: Dort ist ein dreieckiges, fein gearbeitetes Kupfergitter integriert. Es wurde passgenau in die Gaubenstruktur eingefügt und verbindet Funktionalität mit gestalterischer Raffinesse. Das Gitter schützt die Öffnung vor eindringenden Fremdkörpern und Vögeln, lässt zugleich Licht und Luft passieren und fügt sich mit seiner warmen, rötlich schimmernden Oberfläche kontrastreich in das kühle Grau des Bleis ein. Die präzise gearbeiteten Eckverbindungen und die gleichmäßige Maschung zeugen von hoher handwerklicher Qualität – ein kleines, aber wirkungsvolles Element, das die Gesamtkomposition abrundet.

Die Fertigung übernahmen spezialisierte Dachhandwerker der Balas-Gruppe – darunter auch Mitglieder der Compagnonnique des Devoirs Unis, deren Wissen und Ethos tief in der französischen Baukultur verwurzelt ist. Nicolas Bossard erklärt: „Jede Gaube ist ein Einzelstück – nicht nur technisch, sondern auch kulturell. Die poetische Sprache des Handwerks spiegelt sich in der Namensgebung wider: Neben ‚Outeaux‘ greifen die französischen Kollegen auch auf Fachbegriffe wie ‚Flamme‘, ‚Hut‘ oder ‚Huf‘ zurück. Alle genannten Begriffe verbinden Bauteilformen und -funktionen mit Gefühl und Geschichte.“

Bleiben Sie neugierig

Obwohl die Kathedrale im zurückliegenden Winter wiedereröffnet wurde, dauern einzelne Restaurierungsarbeiten noch Jahre an. Jedes einzelne Bauteil – sei es aus Blei oder aus Stein – erzählt bereits jetzt von der Hingabe, mit der stolze Handwerker dieses Monument wieder zum Leben erwecken. Und genau dort setzt BAUMETALL in der nächsten Ausgabe und somit im dritten Teil der Beitragsreihe an.

Ebenso wie die hier vorgestellte Gaube ein Symbol für den Wiederaufbau und handwerkliche Kontinuität ist, gibt es weitere erwähnenswerte Bleielemente und Details. Eines davon ist das ausgeklügelte Belüftungssystem. Es kommt am Hauptdach der Kathedrale im oberen Bereich der Dachschrägen zum Einsatz. Das von den Dachhandwerkern speziell entwickelte Detail stellt laut Nicolas Bossard eine echte Innovation dar. In BAUMETALL-Ausgabe 7/2025 wird berichtet, wie ein kleines Detail dazu beitragen kann, Bleidach-Geschichte neu zu schreiben. BAUMETALL-Chefredakteur Andreas Buck ist beeindruckt davon, wie professionell die französischen Kollegen mit kostbaren Baumetallen umgehen. Überhaupt werde beim Wiederaufbau der Kathedrale überaus respektvoll gearbeitet und präzise agiert.

Hoch oben auf der ­Kathedrale beobachtet eine Chimäre die Dachhandwerker

Bild: andreykr - stock.adobe.com

Hoch oben auf der ­Kathedrale beobachtet eine Chimäre die Dachhandwerker
Zahlreiche Bleigauben wurden in der Werkstatt als Komplettteil produziert und zur Montage auf dem Dach bestmöglich vorbereitet

Bild: Balas

Zahlreiche Bleigauben wurden in der Werkstatt als Komplettteil produziert und zur Montage auf dem Dach bestmöglich vorbereitet
Der Gaubenspiegel besteht aus einer einzigen Bleitafel

Bild: Balas

Der Gaubenspiegel besteht aus einer einzigen Bleitafel
Wie das Anformen der Bleitafel an die kreisrunden Ausschnitte vonstattengeht, zeigt ein im Online-Extra bereitgestelltes Video

Bild: Balas

Wie das Anformen der Bleitafel an die kreisrunden Ausschnitte vonstattengeht, zeigt ein im Online-Extra bereitgestelltes Video

Bild: Balas

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Bild: Balas

Bild: Balas

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Diese Fotoreihe zeigt Gauben in unterschiedlicher Größe und Ausführung. Am Schnittpunkt der entsprechenden Dachdurchdringungen wurden von den Bleidachdeckern dreieckige Gitter aus Kupfer eingepasst

Bild: Balas

Diese Fotoreihe zeigt Gauben in unterschiedlicher Größe und Ausführung. Am Schnittpunkt der entsprechenden Dachdurchdringungen wurden von den Bleidachdeckern dreieckige Gitter aus Kupfer eingepasst

Kathedrale Notre-Dame de Paris

Die stadtbildprägende Kathedrale wurde zwischen 1163 und 1345 errichtet. Sie ist eines der ersten gotischen Gotteshäuser Frankreichs.

Seit 1991 ist das Bauwerk als UNESCO-Weltkulturerbe gelistet.

Der Brand von Notre-Dame am 15. April 2019 zerstörte den gesamten hölzernen Dachstuhl. Dieser bestand aus etwa 1300 Eichenbalken aus dem 13. Jahrhundert. Auch der über 90 m hohe Vierungsturm stürzte ein. Durch den Einsturz des Daches entstanden zudem Löcher im Kreuzrippengewölbe.

Die Bleieindeckung des Daches schmolz und verdampfte teilweise. Für den Wiederaufbau des Daches wurden über 2000 Eichen gefällt. Nachdem die Arbeiten an Dach und Turm abgeschlossen sind, soll die Kathedrale vollständig wiedereröffnet werden.

Die für die Dacharbeiten verantwortliche Balas-Gruppe ist ein 1804 gegründetes, unabhängiges Familien­unternehmen.

Das Balas-Team blickt somit voll Stolz auf eine 220-jährige Fachkompetenz zurück.

Verantwortliche Personen

Technischer Direktor und produktionsverantwortlicher
Leiter der Werkstätten für Dachdeckerei und Kunsthandwerk:
Nicolas Bossard*

Direktor der Abteilung für Dachdeckerei
und Denkmalpflege: Olivier Etienne

Balas-Projektleiterin: Louise Bausiere

Verantwortlicher für Methode und Innovation:
Theo Le Gallet

Bauleiter und Polier der Baustelle Notre-Dame
für Balas: Maxime Matysiak*

Weitere Informationen sowie aufschlussreiches Videomaterial stehen zur barrierefreien Nutzung auf www.baumetall.de/extras bereit.

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