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Effektive Ausbildung in Waldkirchen

Eine Spenglerschule macht Schule

Schotten und Schwaben sind Meister des Sparens und Erfindens, behauptet der Volksmund. Beispielhaft ist der legendäre schottisch/schwäbische Streit um die gefundene Kupfermünze. Weder der Schwabe noch der Schotte wollte die Münze aus der Hand geben mit dem Ergebnis, dass binnen kürzester Zeit der erste Kupferdraht der Welt erfunden war. Doch neuerdings müssen sich die Sparweltmeister sehr warm anziehen, denn die Konkurrenz folgt auf dem Fuße. Und das Beste ist: Innovative Sparmaßnahmen sowie praktische Ergebnisse fördern weit mehr zu Tage, als „nur“ ein Stückchen Kupferdraht. So wurde jüngst bei der Dachsanierung an der Spengler-Berufsschule in Waldkirchen „vorbildlich“ gespart. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Es beinhaltete hochkarätiges Fachwissen, jede Menge bleibende Erinnerungen sowie ein neues Dach für ein Berufsschulzentrum. Der Gegenwert: rund 80000 Euro! Was war geschehen?

Das Stahlblechdach der Metallwerkstätte des Berufsschulzentrums war mehr als marode. „Es tropfte an zahlreichen Stellen in die Werkstatt und auf teure Maschinen“, erinnert sich Berufsschullehrer Erhard Pongratz. Aufgrund einer anstehenden Generalsanierung war der niederbayerische Landkreis Freyung-Grafenau jedoch nicht bereit, das 1968 errichtete Stahldach zu erneuern. Stattdessen wurde über bestandserhaltende Sparmaßnahmen nachgedacht. Für den leidenschaftlichen Berufsschullehrer, Spenglermeister und Anlagenmechaniker Erhard Pongratz war diese Strategie alles andere als praxisnah. Gemeinsam mit seinen Spengler-Lehrlingen sah er sich bereits mehr Wassereimer zum Auffangen eindringender Wassertropfen bereitstellen, als praxisgerechte Ausbildung zu betreiben. Und genau bei diesem Gedanken kam ihm die rettende Idee:

Vorbildliches Sanierungsprojekt

Als ehemaliger Mitarbeiter des Titanzink-Herstellers Rheinzink nutzte Erhard Pongratz bestehende Kontakte. Er schilderte der Rheinzink-Geschäftsleitung die aus Spenglersicht unzumutbare Situation und berichtete von dem Vorhaben gemeinsam mit „seinen“ Auszubildenden, das Dach wieder auf Vordermann zu bringen. „Das war die Geburtsstunde eines fantastischen Projektes“, erinnert sich der Berufsschullehrer, der sich als Projektleiter bis heute um zahlreiche praxisnahe Aktivitäten der Waldkirchner Bildungsstätte kümmert. Auch der Zinkproduzent aus Datteln war von der Idee begeistert und sagte spontane Unterstützung zu. Dann ging es Schlag auf Schlag: 9 t Titanzink wurden angeliefert, der Landkreis steuerte rund 20000 Euro für die erforderliche Holzunterkonstruktion bei und die von der Idee ebenfalls begeisterten Schüler machten sich an die Arbeit, erste Titanzink-Scharen anzubringen.

Drei Klassen mit insgesamt 60 Schülern haben bei der Dachsanierung mitgearbeitet. Dabei wurden im Zeitraum zwischen 2006 und 2009 rund 900 m2 Dachfläche mit soliden Titanzink-Stehfalzscharen eingedeckt und somit mehr als 100000 Euro Lohnkosten eingespart. Dem Einwand, mit dieser außergewöhnlichen Maßnahme ortsansässigen Fachbetrieben Bauaufträge strittig gemacht zu haben, widerspricht Erhard Pongratz energisch: „Schließlich hätte der Landkreis keine Aufträge vergeben können, weil das nötige Geld in der Haushaltskasse fehlte.“

Besondere Fortbildung für Berufsschullehrer

Doch nicht nur die Ausbildung der Spengler-Lehrlinge wird in Waldkirchen groß geschrieben. Auch speziell für Ausbilder entwickelte Fortbildungsmaßnahmen stehen auf dem Praxisprogramm der Spenglerschule. So beeindruckte ein vom Kultusministerium eigens für Lehrer aus dem Spenglerbereich aufgelegter einwöchiger Fortbildungslehrgang. Aus ganz Bayern kommend tagten und arbeiteten rund 20 Spengler-Ausbilder und Referenten miteinander. Begleitet wurden sie dabei vom stellvertretenden Schulleiter Hans Moser, dem kommissarischen Spengler-Werkstattleiter Erhard Pongratz und dem Abteilungsleiter Metall der Schule, Christian Friedrich. Studiendirektor Peter J. Hoffmann von der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen leitete die Tagung, die neben praxisnahen Fachvorträgen auch praktische Arbeiten vermittelte.

Unterstützt wurde die Fortbildungsmaßnahme von den Firmen BWM-Befestigungstechnik, KME und Prefa und auf der Agenda standen ausschließlich Themen aus dem Bereich moderner Metallfassadengestaltung. Falz- und Rautendeckungen wurden angebracht und entsprechende Profilsystemtechnik eingesetzt. Ganz praktisch wurden Werkstatt-Wandflächen mit patiniertem Kupfer bekleidet, Eckanschlüsse hergestellt und Metallfassaden zum Schutz vor Witterungseinflüssen montiert. Doch auch der Umgang mit Dachplatten oder Falzschablonen aus farbbeschichtetem Aluminum wurde vermittelt – übrigens für manchen Teilnehmer eine spannende, weil bis dahin nicht gekannte Metall-Erfahrung. Ganz nebenbei lernten die Ausbilder Spezialwerkzeuge wie Traufkanter oder Traufschließer kennen und erlebten die Welt der Spenglertechnik einmal so, wie sie sonst in den Lehrwerkstätten nicht vermittelt werden kann.

Bleibende Erinnerung

Doch was wäre eine Fachtagung ohne entsprechendes Rahmenprogramm? Auch hier punkteten die Organisatoren, was dazu führte, dass die Teilnehmer nicht nur von der Qualität der Fortbildung der Waldkirchner Schule, sondern auch vom „Drumherum“ beeindruckt waren. Beispielsweise stand ein Besuch des Bedachungs- und Entwässerungsspezialisten Zambelli in Haus im Wald auf der Agenda. Bleibende Erinnerungen hinterließ auch eine Gleichgewichtsschulung im Waldkirchner Kletterwald. In luftiger Höhe bekam so mancher Teilnehmer weiche Knie und konnte sich ein waages Bild von Spenglerarbeiten an Kirchtürmen und anderen hohen Dächern machen.

Letztendlich trug die professionelle Unterstützung der genannten Industriebetriebe und vor allem der motivierte Einsatz der Techniker und Außendienstmitarbeiter maßgeblich zum Erfolg der Schulung bei. Besonders das KME-Doppel Josef Peter Münch und Joerg Hoyer sowie Prefa-Techniker Jens Oppitz setzen sich für die praktische Umsetzung an den Fassaden ein. Doch auch Prefa-Außendienstmitarbeiter Roland Gentner ließ es sich nicht nehmen, trotz Gipsschiene am Arm persönlich Schulungsmaterial und Fachunterlagen anzuliefern.

Auf die Frage, welches Projekt als nächstes anstehe, antwortete Erhard Pongratz: „Gedanken dazu habe ich mir bereits gemacht, doch weit mehr würde ich mich darüber freuen, wenn unsere Schule Schule machen könnte und anderenorts Nachahmer zum „Sparen“ animiert.“

Erhard Pongratz ist Spenglermeister und kommis-sarischer Spengler-Werkstattleiter an der Staatlichen Berufschule in Waldkirchen

Erhard Pongratz*

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