Die in den BAUMETALL-Ausgaben 5 und 6/2025 veröffentlichten Beiträge „Leidenschaft, Ehrgeiz und Gemeinschaft“ sowie „Gaubenzauber von Notre-Dame“ haben in Fachkreisen Interesse geweckt. Entsprechend groß ist meine Freude über die Einladung von Nicolas Bossard, den Pariser Dachhandwerkern einen Besuch abzustatten. Und so stehe ich Ende September vor dem Rolltor der nordwestlich von Paris im Industriegebiet von Gennevilliers gelegenen Balas-Werkstätten für Dachdeckerei und Kunsthandwerk. Mit dem Schritt über die Schwelle betrete ich eine andere, aber irgendwie dennoch vertraute Welt. In Reih und Glied stehen Schwenkbiegemaschinen, Tafelscheren und Profilierautomaten mit passenden Ausklinkeinheiten in der großen Halle. Neben dem mit verschiedenen Baumetallen bestückten Hochregal befindet sich das Coillager samt dazugehörender Längs- und Querschneidanlage mit Mehrfachrollen-Richteinheit.
Metallschönheiten soweit das Auge reicht
Eine Treppe führt ins Reich der Ornamentenspengler. Auf dem Weg in den höher liegenden, lichtdurchfluteten Werkstattbereich passiere ich mehrere wunderschöne Musterdachflächen, rund gebogene Fenstereinfassungen und mit Bauornamenten geschmückte Rinnenkessel. Hier oben, etwas abgeschieden von den Kollegen der Profilfertigung, sind die Ornamentenspengler mit der Rekonstruktion zahlreicher Ochsenaugen beschäftigt. Schneckenförmige Voluten begrenzen die Seiten der aus vorbewittertem Titanzink hergestellten Fenstereinfassungen. Formschön rollen sich die spiralförmigen Verzierungen um ihren imaginären Mittelpunkt und machen dabei eine überaus gute Figur.
Und noch etwas fällt auf: Das Betriebsklima bei den Balas-Handwerkern ist ausgezeichnet. Man begrüßt sich per Handschlag und dem in Paris allerorts zu vernehmenden, freundlichen Gruß Salut! Nicolas Bossard nimmt sich Zeit – schaut mit den Kollegen an den Werkbänken in die Projektpläne – gibt Tipps zur Falzführung – erklärt wie die nächste Lötnaht ausgeführt werden könnte. Dann bittet er einen Mitarbeiter darum, mir zu zeigen wie bei Balas feine Ziselierungen entstehen. Ich bin beeindruckt. Wenngleich das Ergebnis in deutschen, österreichischen oder schweizerischen Werkstätten ähnlich aussieht, so ist die Vorgehensweise doch eine andere. Das Ziselieren erfolgt auf speziellen Hartgummiplatten und zu meiner Überraschung mit einem besonderen Hammer. Auf einer Seite ist das Werkzeug mit der kreisrunden und polierten Schlagfläche eines Polierhammers ausgestattet – auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich ein quer zum Hammerstiel angeordneter Schweifhammerkopf.
Schleuse ins Reich der Bleispezialisten
Die Werkstatt-Exkursion geht weiter. Bevor wir den nächsten Durchgang passieren, werde ich mit Überschuhen ausgestattet. Dann geht es durch eine Personenschleuse in den hermetisch abgeschirmten Bereich zur Bleibearbeitung. Direkt am Eingang fällt mein Blick auf beeindruckende Fenstereinfassungen. Direkt daneben sind Falzmuster und mit kleinteiligen Bleirauten bekleidete Musterflächen ausgestellt. Ich staune über die Qualität der Exponate. Zahlreiche Bleiverbindungen sind so filigran gearbeitet, dass ich Mühe habe, die Nahtstellen zu entdecken. Zweifellos stehe ich hier den Arbeiten absoluter Blei-Spezialisten gegenüber. Ich erfahre, dass einige der hier gezeigten Muster Weiterentwicklungen jahrhunderter alter Techniken sind, wie sie zum Beispiel am Dach der Kathedrale von Notre-Dame de Paris vorhanden waren. Nicolas Bossard erklärt, dass es in mühsamer Entwicklungsarbeit gelungen sein, ein neues Verbindungssystem für die Querfalze zu entwickeln. Dann zeigt mir der Direktor der Balas-Abteilung für Dachdeckerei und Denkmalpflege den Vorteil des neuen Systems: Es kommt ohne bislang eingesetzte sichtbare Kupferhafte aus. Das Ergebnis sind Nahtverbindungen an Bleibekleidungen und Anschlussdetails, die aussehen, als seien sie aus einem Guss hergestellt worden. Anstatt sonst üblicher einfacher Überlappungen schmiegen sich die raffiniert ausgebildeten Falze regelrecht an die Unterkonstruktion. Sturmsicher sei die Variante und dauerstandfest. Unbeabsichtigtes Abrutschen gehöre ebenso der Vergangenheit an wie das Abscheren von Bleiumschlägen an scharfkantigen Kupferlaschen. Ich nicke zustimmend, denn bei einer Materialdicke von 3 mm kann das Eigengewicht der Bleielemente mit der Zeit zum Problem werden.
Allerdings ist es den Spezialisten für Bleiproblematiken bei der Rekonstruktion der Kathedrale nicht immer gelungen, ihre Innovationen durchzusetzen. Der Grund dafür ist einfach: Bei Bauarbeiten an einem architektonischen Wahrzeichen wie Notre-Dame hat die Denkmalschutzbehörde (oder der Chefarchitekt für historische Monumente) fast immer das letzte Wort. Zudem schreibt die Charta von Venedig das Prinzip der identischen Restaurierung und des Wiederaufbaus vor, was die Einführung radikal neuer Lösungen einschränkte.
Falz- und Dachbelüftung
Dass es gelungen ist, ein innovatives Falzbelüftungssystem in der Dachfläche zu integrieren, freut Nicolas Bossard umso mehr. Zahlreiche der rundgeformten, gerollten Falzverbindungen im Bereich der Flächeneindeckung wurden so ausgebildet, dass im Falzhohlraum die thermische Be- und Entlüftung stattfinden kann. Am Firstbereich wurde dazu eine spezielle Falzentlüftung ausgebildet. Sie besteht aus einem halben, spitz zulaufenden Kegel aus Kupfer samt innenliegendem Insektenschutzgitter. An seinen Seiten befinden sich kehlähnliche Auslaufbereiche. Die aus Kupfer hergestellten Lüfter wurden anschließend mit Sandgussblei überarbeitet, sodass sie mit bloßem Auge nicht mehr wahrnehmbar sind.
Großes Thema: Arbeitssicherheit
Beim Verlassen der Blei-Werkstatt passiere ich zwei leistungsstarke Waschmaschinen. Nicolas Bossard erklärt: „Im normalen Werkstattbetrieb legen unsere Bleispezialisten hier ihre Arbeitskleidung ab. Dann benutzen sie diese mit zwei Türen ausgestattete Dusche. Auf der anderen Seite befindet sich neben Handtüchern auch die Freizeitkleidung der Mitarbeiter. Überhaupt ist bei Balas der Umgang mit dem schweren Baumetall Blei bis ins kleinste Detail perfektioniert. Vakuumsauger unterschiedlicher Größe erleichtern nicht nur das Anheben und Bewegen der Bleiplatten, sondern minimieren auch den direkten Kontakt mit dem Metall. Bei den hier verarbeiteten Mengen ist das besonders wichtig.“ Meine Frage, wie dieses Konzept bei den Arbeiten auf dem Dach von Notre-Dame umgesetzt wurde, wird an einer mobilen und mit Kranhaken ausgestatteten Dusche beantwortet: „Beheizte Duschkabinen wie diese haben wir auf der Baustelle eingesetzt. Sie funktionieren nach demselben Prinzip. Lediglich auf den Einsatz von Waschmaschinen haben wir auf dem Dach verzichtet. Die Arbeitskleidung wurde stattdessen in großen, besonders robusten Wäschesäcken gesammelt und hier in der Werkstatt gereinigt.“
Bis bald in Ulm
Mein Tag in Paris ging viel zu schnell vorbei. Die zweieinhalbstündige Fahrt im TGV (Train à Grande Vitesse) nutze ich, um Fachbücher und Informationen über die Balas-Gruppe zu studieren. Außerdem poste ich einen kurzen Reisebericht in den sozialen Medien und bereite dazu passend einen Online-Artikel sowie den nächsten BAUMETALL-Newsletter vor. Darin bedanke ich mich bei Nicolas Bossard und Olivier Etienne sowie den Kollegen des Balas-Teams für die Gastfreundschaft und den kollegialen Austausch. Was bleibt, sind Erinnerungen an einen fantastischen Tag und die Freude darüber, nette Kollegen kennengelernt zu haben. Darüber hinaus wächst schon jetzt die Vorfreude auf die nächste Begegnung auf der Dach + Holz in Köln. Außerdem wird Nicolas Bossard mit vier seiner Teammitglieder am BAUMETALL-Workshop „Spengler-Raumschiff aus Titanzink bauen“ teilnehmen. Das Zusammentreffen mit Teilnehmern aus ganz Deutschland, Österreich und Südtirol macht den Workshop bei den Kaufmann-Ornamentenspenglern in Ulm zu einem internationalen Fachaustausch der Extraklasse.
Bild: andreykr – stock.adobe.com
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Verantwortliche Personen
Nicolas Bossard* Technischer Direktor und produktionsverantwortlicher Leiter der Werkstätten für Dachdeckerei und Kunsthandwerk
Olivier Etienne Direktor der Abteilung für Dachdeckerei und Denkmalpflege
Louise Bausiere Balas-Projektleiterin
Theo Le Gallet Verantwortlicher Bauleiter für Methode und Innovation
Maxime Matysiak* Polier der Baustelle Notre-Dame für Balas
Weitere Informationen sowie aufschlussreiches Videomaterial stehen zur barrierefreien Nutzung auf www.baumetall.de/extras bereit.