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Eine Bauhütte

Blechnerfest am Turm

Der 26 m hohe Pfeiferturm war früher ein Teil der Brettener Stadtmauer. Das stadtbildprägende Bauwerk wurde im Mittelalter mehrmals schwer beschädigt und sein charakteristisches Helmdach um 1830 abgebrochen. Erst über 300 Jahre später rekonstruierten die Brettener Bürger das Dach ihres Pfeiferturmes von Grund auf neu. Eigens dazu gründeten sie die „Bauhütte Pfeiferturm“ – ein Projekt, welches weit über die Stadtgrenzen hinaus Furore machte. Mehr noch: Das beispielhafte Engagement der Brettener Bürger vereinte insgesamt 20 ehrwürdige Zünfte, darunter Schlosser, Zimmerleute, Schreiner, Gerüstbauer, Glaser, Maler, Dachdecker, Zeltbauer, Vermesser, Hebemeister und Blechner. Aus Liebe zu ihrer Heimatstadt verpflichteten sie sich in der Gründungsurkunde, den Turmhelm wieder zu errichten. Dabei versprachen die traditionellen Handwerker auch, sich um die gefiederten Turmbewohner zu kümmern. Eigens dazu richteten sie direkt über dem gut 60 m2 großen Dachraum einen Bereich für Schleiereulen und Turmfalken ein.

Imagegewinn in Rekordzeit

Wochenlang stand die Rekonstruktion der Turmbedachung im Medieninteresse. Vor allem die Tatsache, dass es in Bretten gelungen ist rund 40 Firmen, Dienstleister und andere Organisationen in einer ehrenamtlich organisierten „Bauhütte“ zusammenzufassen, sorgte bundesweit für Aufmerksamkeit. Wo sonst kann ein Projekt dieser Größenordnung ohne den Einsatz von Steuergeldern realisiert werden? Neben freiwillig geleisteten Arbeitsstunden war die Bürgerinitiative der Brettener Heimat- und Denkmalpflege auch für die Finanzierung der Materialkosten in Höhe von rund 90000 Euro zuständig. Das Gesamtprojekt, inklusive der noch zu erstellenden Innentreppe, summiert sich auf etwa 300000 Euro, aber der Reihe nach:

Lange bevor der erste Nagel ins Holz eingeschlagen und der erste Falz geschlossen werden konnte galt es, sich Gedanken um die Planung des Projektes zu machen. Besonders Architekt Adolff Wickel war in den dazu erforderlichen Planungs- und Organisationsmarathon eingebunden. Seinem zeitintensiven und ebenfalls unentgeltlichem Einsatz folgte schließlich im März des vergangenen Jahres der offizielle Startschuss. Auf einem unweit des Pfeiferturmes gelegenen Parkplatz wurde der Dachstuhl aufgeschlagen und in knapp drei Monaten komplett fertiggestellt. Vor allem die meist an Samstagen ausgeführten Arbeiten der Handwerker standen im Interesse der Öffentlichkeit. Wo sonst können beispielsweise Klempner dabei beobachtet werden, wie sie Gratfalze schließen oder Dachgauben in Stehfalzdächer einbinden. Umringt von Passanten und Neugierigen falzten die Turmblechner aus Leibeskräften. Bei Wind, Sonnenschein oder Regen waren sie aktiv und zeigten den Bürgern der Stadt, wozu sie in der Lage sind. Unter dem Einsatz von vorbewittertem Titanzink der Marke VM-Zinc, rekonstruierten die „Brettener Blechner“ ihren Turmhelm. Liebevoll profilierten sie die Titanzinkscharen, schlossen die Trauffalze und stellten Aufkantungen am Gratbereich her. „Letztere Arbeit war besonders mühsam“, erinnert sich Jörg Hickisch, der die Blechner der Bauhütte beaufsichtigte und selbst tatkräftig mit anpackte.

Fliegender Helm

Um das ehemals mächtigste Bollwerk der Stadtbefestigung in seinen Urzustand zurückzuversetzten, war neben zahlreichen Arbeitsstunden ein enormer logistischer Aufwand erforderlich. Zunächst hievte einer der größten Teleskopkräne Deutschlands das in Rekordzeit vorgefertigte, rund 35 t schwere Dach auf einen Tieflader. Im Schneckentempo, aber dafür begleitet von Spielmannszügen, Trachtengruppen und Fahnenschwingern sowie den in mittelalterliche Trachten gekleideten Bauhütten-Handwerkern, machte sich der überbreite Schwertransport auf den Weg. Nachdem das auf einer Grundfläche von 9 mal 9 m errichtete Dach den Fuß des Pfeiferturmes erreicht hatte, wurde es genau 319 Jahre und zehn Monate nach seiner Zerstörung feierlich wieder aufgesetzt.

Heute ist die Skyline von Bretten um eine Attraktion reicher. Weithin sichtbar zeugt der Pfeiferturm von erstklassiger Klempnertechnik und einem ebensolchen Bürgerzusammenhalt. Ein Schmankerl am Rande stellt die auf dem Glockentürmchen platzierte Edelstahlwindfahne dar: Sie zeigt das in ganz Baden bekannte „Brettener Hundle“. Der Sage nach wurde das fette, mopsartige Tier von den häufig belagerten Brettenern den verblüfften Angreifern gern und oft gezeigt. Diese zweifelten daraufhin stark an ihrer Belagerungstaktik und den dadurch beabsichtigten Hungertod der Verteidiger. Schließlich zogen die Angreifer frustriert wieder ab.

Bautafel

Architektur: Adolff Wickel, Bretten

Fachbauleitung: Jörg Hickisch, Hickisch Bedachungen Bretten

Grundfläche: 9 x 9 m

Turmhöhe: 26 m

Turmdachhöhe: 17 m

Material: vorbewittertes Titanzink

Hersteller: VM-Zinc

Baukosten des Daches: etwa 160000 Euro

Falzwerdegang

Diese Handskizzen aus dem Lehrbuch „Fachkunde der Bauklempnerei“ von Herbert Schlenker, verdeutlichen, wie stehend eingeführte Gratverfalzungen entstehen.

Hintergrund

Der Pfeiferturm ist ein Teil der ehemaligen Stadtbefestigung in Bretten und wurde im 13. Jahrhundert errichtet. In den Jahren 1504 und 1689 wurde der Turm bei Belagerungen schwer beschädigt. Auf einem Merianstich von 1645 hat der Turm noch ein Satteldach und zwei Erker. Danach diente er erst noch als Wachturm, später als Stadtgefängnis. Sein Helmdach wurde etwa 1830 abgebrochen.

Die Brettener haben Erfahrung mit solchen Projekten. In ehrenamtlicher Arbeit haben Rathauschef Metzger und Hunderte von Bürgern schon historische Gebäude wie das Gerberhaus, den „Schweizer Hof“, das Schützenstüble, Teile der Stadtmauer oder den Simmelturm restauriert und damit die Stadtkasse um vier Millionen Euro entlastet. Wer mithilft, wird automatisch in die „Bürgerinitiative Brettener Heimat- und Denkmalpflege“ aufgenommen und damit wie jeder Stadtrat nach der Gemeindeordnung versichert, was die Kommune ebenfalls keinen Cent kostet. Außerdem werden alle Kosten über die städtischen Rechnungsprüfer abgewickelt und säuberlich im Etat aufgelistet.

In mehr als zwanzigjähriger „Grundlagenforschung“ und mit Hilfe eines Merianstichs aus dem Jahr 1645 tüftelte Architekt Adolff Wickel zahlreiche Baudetails aus. In enger Abstimmung mit dem Denkmalamt plante er die Holzkonstruktion samt Titanzinkbedachung des neuen Turmhelmes.

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