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Und wie reagieren Baustoffe auf Hagelkatastrophen?

Was passiert mit einem Stehfalzdach im Hagelsturm?

Tennisballgroße Hagelkörner haben am 28. Juni 2006 einen etwa 500 mbreiten und mehrere Kilometer langen Streifen der Verwüstung hinterlassen. Am heftigsten wütete der Hagelsturm über den Ortschaften Trossingen und Villingen-Schwenningen im Schwarzwald. Bis zu 20 Minuten lang mussten dort verschiedenste Dachflächen dem aus südwestlicher Richtung, vom Rheintal kommenden Unwetter standhalten. Nach Aussaugen der Meteo-rologen entstanden bei diesem Hagelereignis Schäden an Gebäuden und Fahrzeugen, die beispiellos für Deutschland sind. Nahezu 12 500 m² Stehfalzdächer- und Fassaden aus farbig beschichtetem Aluminium wurden teilweise leicht bis schwer beschädigt. Der geschätzte Gesamtschaden betrug 1,1 Mio. Euro.

Im Vergleich dazu wurden aber tausende m² Ziegeldachfläche einschließlich deren Dachfenster komplett zerstört und boten daraufhin keinen Regenschutz mehr. Neben den Schäden an den Ziegeldächern selbst waren somit die zusätzlichen, durch eindringende Feuchtigkeit entstandenen Gebäude-Folgeschäden unermesslich hoch. Im Folgenden sollen die an Stehfalzdächern- und fassaden entstandenen Schadensbilder beurteilt und in entsprechende Kategorien eingestuft werden.

Entstehung

Tritt starker Hagel zusammen mit Sturmböen auf, werden Fensterrollläden zerstört, Autos verbeult, Dachziegel zermalmt, der Putz von den Wänden geraspelt, ganze Ernten umgemäht sowie Büsche und Bäume entlaubt. Ein Hagelkorn entsteht aus einem Regentropfen, der sich zunächst in den niedrigeren Schichten einer Gewitterwolke befindet. Heftige » Turbulenzen wirbeln den Regentropfen aus dem unteren Teil der Wolke (um 0 ºC)in den oberen Bereich (bis zu -40 ºC) und umgekehrt, wobei Geschwindigkeiten von 20 bis 30 m/s erreicht werden können. Der Regentropfen gefriert zu Eis und wird immer größer, indem er sich mit anderen Hagelkörnern verbindet und im unteren Teil der Wolke erneut Wasser an sich bindet. Durch starke Aufwinde gelangt das wachsende Hagelkorn wieder und wieder in den oberen Teil der Wolke. Je öfter sich dieser Vorgang wiederholt, umso größer wird ein Hagelkorn. Schließlich werden die Hagelkörner in einer Wolke zu schwer und fallen auf die Erde. Oft erreichen die Hagelkörner den Erdboden nicht, da sie auf dem Weg zur Erde durch wärmere Luftmassen wieder schmelzen und an Größe und Gewicht verlieren. Das schwerste Hagelkorn aller Zeiten wurde mit einem Gewicht von 1,9 kg in Kasachstan gefunden. Berichte über große Hagelkörner sind aber mit Vorsicht zu bewerten, da sie auf dem Weg zur Erde zusammenbacken und somit den Eindruck eines „Mega Hagelkornes“ erwecken können.

Aufschlaggeschwindigkeit

Die Aufschlaggeschwindigkeiten verschieden großer Hagelkörner verhalten sich ungefähr so zueinander wie die Quadratwurzel ihrer Durchmesser. Diese liegt beispielsweise bei einem 1-cm-Korn um 50 km/h, bei einem 5-cm-Korn um 110 km/h und bei einem 14-cm-Korn bei 170 km/h.Als Faustformel zur Berechnung der Fallgeschwindigkeit eines Hagelkornes kann folgende Formel Verwendung finden: √ 215 . ø cm = Geschwindigkeit in m/s. Zu bedenken ist aber, dass diese Formel das Abschmelzen und die damit zusammenhängende Gewichtsveränderung des Hagelkornes im freien Fall nicht berücksichtigt. Ein genaues Ergebnis kann mit Sicherheit nur eine Differenzialgleichung unter Berücksichtigung der angegebenen Parameter erbringen.

Wie bereits eingangs erwähnt, prasselten im Juni 2006 tennisballgroße Hagelkörner auf zahlreiche Stehfalzdächer nieder. Bei einer ersten Inaugenscheinnahme wurden die entstandenen Schäden nach optischen Mängeln, Volltreffern und Spannungsrissen unterschieden.

Simulationsversuche

Um die Ereignisse eines einschlagenden Hagelkornes zu simulieren, gibt es verschie-dene Tests. Die Prüfung durch eine fallende Kugel ist solch ein Testverfahren. Tests mit einem sogenannten „Impact“ Fallgerät führten allerdings zu keinem brauchbaren Ergebnis, da die kinetische Energie der fal-lenden Kugel zu gering war. Aus der Fachliteratur ist bekannt, dass ein 23-mm- Hagelkorn eine mittlere Aufschlagenergie von circa 1 Joule erzeugt. Um einen brauchbaren Vergleich zu bekommen, wurden deshalbSimulationsversuche mit einem Luftgewehr durchgeführt. Die Berechnung der kinetischen Energie einer Luftgewehrkugel führte zu nebenstehendem Ergebnis. »

Um ein praxisnahes Resultat zu erzielen, wurden verschiedene Proben mit unterschiedlichen Trennlagen und Schalungsbahnen hergestellt. Darunter befanden sich Versuche ohne Trennlage, mit bituminöser V-13-Bahn sowie mit strukturierten Trennlagen.

Bei der anschließenden Auswertung stellte sich heraus, dass die kinetische Energie einer Luftgewehrkugel nicht ausreichte, um die Stehfalzeindeckung zu durchschlagen. Bei einem Vergleich der Probekörper mit unterschiedlicher Trennlage fiel aber interessanterweise auf, dass die Eindringtiefe der Luftgewehrkugel am geringsten bei der Probe ohne Trennlage war. Im Gegensatz dazu waren die Einschläge bei der Probe mit V-13-Bahn tiefer und an der Probe mit Strukturmatte am tiefsten. Aus diesem Sachverhalt ist abzuleiten, dass eine harte und somit federnde Unterlage tieferes Eindringen von Hagelschlag verhindert. Luftgewehrkugel wie Hagelkorn prallen auf härteren Untergründen mehr oder weniger ab.

Zusammenfassung

Wenn Hagelkörner in der Größenordnung eines Tennisballes auf ein Stehfalzdach prallen, werden gewaltige Energien frei. Dabei ist nicht nur die Größe des Hagelkornes, sondern auch die Intensität und die Aufschlagstelle von großer Bedeutung. Im Normalfall ist eine 0,7 mm starke Aluminium-Stehfalzeindeckung stark genug, um der Aufprallenergie eines tennisballgroßen Hagelkornes zu widerstehen. Zu bedenken ist aber, dass Aluminium einen Ausdehnungskoeffizient von 0,024 mm/mK aufweist. Im jahreszeitlichen Wechsel von – 20 °C bis zur maximalen Aufheizung auf + 80 °C errechnet sich bei einer 10 m langen Schar eine temperaturabhängige Gesamtausdehnung von 24 mm. Ob ein Stehfalzdach nach einem starken Hagelschauer noch als gebrauchstauglich einzustufen ist, kann deshalb nicht aus der Tiefe der Eindellungen und eventuell entstandenen Materialrissen abgeleitet werden. Es ist vielmehr darauf zu achten, dass Stehfalzflächen nach starken Hagelschauern weiterhin spannungsfrei sind und temperaturbedingte Längenänderungen in ihrer Beweglichkeit nicht behindert werden.

Selbstverständlich sind tennisballgroße Hagelkörner nicht alltäglich. Statistisch gesehen hat Hagel von 3 cm eine 1500 mal geringere Wahrscheinlichkeit als solcher von1 cm. Die Möglichkeit, dass ein Mensch jemals im Leben ein Hagelkorn so groß wie ein Basketball auf den Kopf bekommt geht praktisch gleich Null – aber sie ist eben auch nicht ganz Null. Wenn es dann eines Tages doch passiert, werden viele Menschen sagen: „Das hat es noch nie gegeben!“

* Andreas Schmelzer ist Technical Service Manager bei der Novelis Deutschland GmbH in Göttingen. Fotos: Novelis und Marco Kaschuba vom Hagel-Informationszentrum-Reutlingen

Dipl.-Ing. Andreas Schmelzer*

BAUMETALL-Extra

Zeitreise im Internet: Lesen Sie einen Originalbericht über die fast schon vergessene Hagelkatastrophe vom 29. Juni 1903:

Ein furchtbares Unwetter hat hier heute Nachmittag gehaust. Gegen Drei Uhr kündigte es sich schon dadurch an, dass es unheimlich dunkel wurde. Man sah sofort, dass ein böses Gewitter im Anzuge sei und traf die notwendigen Vorkehrungen. Bald begann ein Sturm von solcher Heftigkeit und ein Hagelwetter, wie selbst die ältesten Leute ein solches noch nicht erlebt haben. Das furchtbare Unwetter, bei dem wohl allen Hören und Sehen verging - verschiedene ältere Leute sollen allen Ernstes an den bevorstehenden Untergang der Welt gedacht haben - dauerte etwa 10 bis 12 Minuten. Aber welch ein entsetzlicher Anblick bot sich uns nachher: Von der Gewalt des Sturmes waren eine Unmenge großer Bäume entwurzelt und wie Strohhalme zur Seite geworfen. Bäume sindauf die Hausdächer gefallen und haben diese arg beschädigt. Was der Sturm aber nicht vernichtete, das wurde vom Hagelschlag, dessen einzelne Schlossen zumeist Nußgröße, teilweise aber auch Hühnerei- und sogar Enteneigröße aufwiesen, zerstört...

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